9. Mai – Demonstration gegen Krieg und Faschismus

26. Mai 2015

Nachdem die Kölner VVN-BdA sich am 70. Jahrestag der Befreiung Europas vom Faschismus an der Feierstunde am Mahnmal für die Opfer des Naziterrors am Hansaring beteiligt hatte, ging es einen Tag später weiter: Für den 9. Mai hatte ein Bündnis aus antifaschistischen und Friedensgruppen sowie linken Organisationen zu einer Demonstration gegen Krieg und Faschismus aufgerufen, an der sich etwa 150 Menschen beteiligten.
Zur besten Einkaufszeit, also von vielen Leuten wahrgenommen, zogen die Demonstrant(inn)en mit einem kurzen Halt am Waldenserdenkmal durch die Kölner Innenstadt zum Dom, wo eine Kundgebung stattfand.
Dort berichtete der ehemalige Richter Bernd Hahnfeld (Juristen und Juristinnen gegen atomare, biologische und chemische Waffen) aus (nicht nur) juristischer Sicht über die verpassten Chance für eine Politik des Friedens durch die Nichtumsetzung des Potsdamer Abkommens von 1945, das eine Entmilitarisierung Deutschlands vorsah und die aktuelle Politik der Bundesregierung, die dem Erhalt des Friedens in Europa nicht dient.
Der Aachener Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko (Linkspartei) stellte den Konflikt in der Ukraine und die einseitig antirussische Haltung der Bundesrepublik in den Mittelpunkt seiner Ausführungen und Peter Förster (Arbeitskreis Zivilklausel an der Universität Köln) informierte über die Militarisierung des Bildungswesens und den Widerstand dagegen.

Wir dokumentieren den Auftaktbeitrag, den Peter Trinogga (VVN-BdA Köln) am Hans-Böckler-Platz hielt.

Liebe Antifaschistinnen und Antifaschisten,
liebe Freunde,

herzlich willkommen bei unserer Demonstration gegen Faschismus und Krieg anlässlich des 70. Jahrestages der Befreiung, den wir gestern begingen und den die Antifaschistinnen und Antifaschisten in Russland und den Nachfolgestaaten der Sowjetunion sowie die Veteraninnen und Veteranen der Roten Armee, von denen einige auch hier in Köln leben, heute begehen, feiern.

„Tag der Befreiung“ – das hört sich gut an. Aber wer wurde befreit und vor allem: wer fühlte sich vor siebzig Jahren befreit? Natürlich die Häftlinge in den faschistischen Lagern, den Tötungsfabriken, den Zuchthäusern, im Klingelpütz, in Siegburg. Ebenso natürlich die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus vielen Ländern Europas, die Illegalen (von denen es im zerstörten Köln viele gab), die wenigen Jüdinnen und Juden, die dem rassistischen Mordwahn entgehen konnten, die Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfer. Für all diese Menschen war es die erste Gelegenheit, wieder frei atmen zu können.

Für die meisten Deutschen aber war die Befreiung durch die alliierten Truppen zuerst höchstens eine Befreiung vom Krieg, von den Tagen und Nächten in den Luftschutzbunkern. Ihre Befreier kamen von außen, waren diejenigen, die ihnen jahrelang als Todfeinde dargestellt wurden und die sie mit Sicherheit auch in vielen Fällen als Feinde ansahen. Die Deutschen hatten trotz aller Anstrengungen von Antifaschistinnen und Antifaschisten, sich nicht selbst befreit – und das sollte Folgen haben:

Jahrzehntelang war der 8. Mai in der Bundesrepublik wahlweise der „Tag der Kapitulation“, der „Tag des Kriegsendes“ oder, in den allermeisten Fällen, ein Tag wie jeder andere. Es sollte 40 Jahre dauern, bis der damalige Bundespräsident Weizsäcker in seiner berühmten Rede am 8. Mai 1985 auch offiziell vom „Tag der Befreiung“ sprach. Dieser Kurswechsel, der vielen Ewiggestrigen in Weizsäckers Partei, der CDU, gar nicht schmeckte, fiel aber nicht vom Himmel sondern war das Ergebnis jahrelanger Bemühungen und Aktionen von Linken, Gewerkschafter(inne)n und Antifaschist(inn)en.

Heute fühle ich mich fast wieder 30 Jahre zurückversetzt: In den Medien (und nicht nur dort) ist in erster Linie vom Ende des Krieges die Rede, wird zuallererst der „eigenen“, deutschen Opfer gedacht, ist vom Grauen des Bombenkrieges die Rede, den Traumatisierungen, die die damaligen Kinder und Jugendlichen davongetragen haben. Im Kölner Stadt-Anzeiger vom vergangenen Mittwoch gab es einen ganzseitigen, überaus entschuldigenden, ja geradezu wohlwollenden Beitrag über die Kosaken, die auf Seite der Naziinvasoren gegen ihre russischen Schwestern und Brüder gekämpft hatten, Kollaborateure waren, Helfer der Mörder! In unseren Massenmedien ist das Bewusstsein der Befreiung vom Faschismus jedenfalls seit geraumer Zeit wieder verloren gegangen und ersetzt worden durch ein herbeiphantasiertes nationales Kollektiv.

Die Hoffnungen vieler Antifaschistinnen und Antifaschisten spiegeln sich nirgends so gut wieder, wie im Schwur von Buchenwald, dem Vermächtnis der Überlebenden, der sich selbst befreit habenden Häftlinge des Konzentrationslagers unmittelbar vor den Toren Weimars: „Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht. Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel. Das sind wir unseren gemordeten Kameraden und ihren Angehörigen schuldig“. Was wurde aus der „Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln“, dem „Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit“. Wie stand und steht es um „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!“? Wie und wohin hat sich die Bundesrepublik in den vergangenen 70 Jahren entwickelt?

Nach ersten Erfolgen unmittelbar nach der Befreiung, als selbst Alfred Krupp und Friedrich Flick, die am Massenmord blendend verdient hatten, auf einer Anklagebank und kurzzeitig in Haft landeten und in Hessen die große Mehrheit der Menschen für eine Sozialisierung der Schwerindustrie stimmte, begann mit dem Kalten Krieg der gesellschaftliche Weg zurück: Nazis und Kriegsverbrecher wurden begnadigt, rehabilitiert und kamen wieder in Amt und Würden (der Kommentator der antisemitischen „Nürnberger Gesetze“, einer der juristischen Vorbereiter des Holocaust, Dr. Hans Globke wurde ab 1953 ganze 10 Jahre lang Chef des Bundeskanzleramtes). Widerstandskämpfer und Widerstandskämpferinnen, die Kommunisten waren, erhielten ab 1951 Berufsverbot im öffentlichen Dienst, ihre Partei wurde 1956 verboten und viele wanderten (wieder) in die Gefängnisse – verurteilt häufig von Richtern, die bereits zwischen 1933 und 45 politische Gegner verurteilt und in den Tod geschickt hatten. Die Nazibürokraten, -juristen, -militärs und -geheimdienstleute, die Schreibtisch- und anderen Täter wurden eben dringend gebraucht um den neuen Staat aufzubauen. Und anders als sein östlicher Konkurrent und Nachbar hatte die „Bonner Republik“ nicht einmal den Anspruch, ein antifaschistischer Staat zu sein. Antifaschismus galt als kommunitisches Schlagwort, gegen die VVN wurde ein Verbotsverfahren eröffnet (da nachgewiesen werden konnte, dass der vorsitzende Richter auch ein alter Nazi war, verlief dieser Prozess allerdings recht schnell im Sande). Vom Großkapital, der Schwerindustrie und den Banken, die die Nazis finanziert hatten und an Krieg und Zwangsarbeit Milliarden verdient hatten, will ich gar nicht reden – sie wurden stärker und reicher denn je.

Einen Einschnitt gab es Ende der sechziger Jahre im Zuge der 68er Bewegung. Nach langer Zeit und mit vielen Widersprüchen, wieder einmal gab es Berufsverbote für Linke und der NPD fehlten nur wenige Stimmen, um in den Bundestag einzuziehen, sah es so aus, als wehte ein antifaschistischer Wind. Aber das war nur von kurzer Dauer: Nach der Angliederung der DDR an die Bundesrepublik durfte man wieder stolz darauf sein, Deutscher zu sein. Es dauerte nicht lange und es brannten Flüchtlingsheime, das Grundrecht auf Asyl, das aufgrund der Erfahrungen des Exils während des Faschismus ins Grundgesetz aufgenommen worden war, wurde geschleift, Deutschland führte wieder einmal Krieg in und gegen Jugoslawien und Rechtsterroristen und Geheimdienste wirkten so eng zusammen, das nicht mehr feststellbar ist, wer da wer war – kurz gesagt: die braune Scheiße kam wieder nach oben – und da schwimmt sie immer noch!

Aber natürlich gab es für Antifaschistinnen und Antifaschisten, für Friedensbewegte und für Linke auch Erfolge: in den fünfziger Jahren wurde die Bewaffnung der Bundeswehr mit Atomwaffen, die das Ziel der Regierung Adenauer war, verhindert. Am Irakkrieg nahm die Bundeswehr nicht aktiv teil und der von den USA und ihren engsten europäischen Verbündeten angestrebte Krieg gegen Syrien fand nicht statt. Wir brauchen also nicht mutlos zu sein, uns kleiner zu machen, als wir sind und wir haben im Kampf gegen Rechts, gegen Militarismus und Krieg viele Aufgaben. Lasst uns beginnen, sie gemeinsam zu lösen, um den Schwur von Buchenwald, das antifaschistische Vermächtnis endlich einzulösen. Das sind wir nicht nur den Verfolgten und Kämpfern gegen den Faschismus schuldig, sondern auch und vor allem denjenigen, die unter Rassismus, rechtem Terror, deutschen Waffen und Krieg leiden.

Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg, nie wieder brennende Bücher!

16. Mai 2015

Lesung anlässlich des 82. Jahrestages der Bücherverbrennung durch die Faschisten am Mittwoch, den 20.Mai 2015, 11:00-17:00 Uhr, auf dem Albertus-Magnus-Platz, dem Hauptcampus der Uni Köln.

Jede und jeder ist eingeladen, zuzuhören und aus den Werken der AutorInnen, deren Bücher verbrannt wurden, vorzulesen.

„Ich glaube wie je, daß literarische Bemühungen niemals ohne Wirkung bleiben, wie lange es auch dauern mag, bis die greifbare Welt ihnen zugänglich wird. Künftige Menschen können sich einem gerechten Handeln nur dann gewachsen zeigen, wenn wir verharrt haben in der Sprache der Wahrheit.“ Heinrich Mann: Die erniedrigte Intelligenz, 1933. Aus: Verteidigung der Kultur, Antifaschistische Streitschriften und Essays, Berlin und Weimar: 1971, S. 296.
Anlässlich des 82. Jahrestages der Bücherverbrennungen durch faschistische Studierendenverbände und Burschenschaften initiiert der Arbeitskreis Zivilklausel in diesem Jahr wieder Lesungen aus den Werken der Autorinnen und Autoren, deren Bücher 1933 verbrannt wurden. Jede und jeder ist aufgerufen, sich zu beteiligen.
Verbrannt wurden an deutschen Hochschulen Bücher von jüdischen, pazifistischen, bürgerlich­humanistischen, sozialistischen und kommunistischen Literatinnen und Literaten, die mit ihrem Wirken den menschenverachtenden Zielen der Nazis im Weg standen. Dazu gehören Lion Feuchtwanger, Bertolt Brecht, Nelly Sachs, Sigmund Freud, Heinrich Mann, Carl von Ossietzky, Bertha von Suttner, Erich Maria Remarque, Heinrich Heine, Karl Marx, Kurt Tucholsky, Rosa Luxemburg, Anna Seghers und viele andere, deren Werke aus den Bibliotheken verbannt, verbrannt und verboten wurden. Für die „Aufzucht“ eines „Volks“ gehorsamer und spießiger, gegenüber Unrecht und Unmenschlichkeit abgestumpfter Soldaten mussten die Nazis jegliche Ansprüche an Humanität und Egalität zu vernichten suchen. Die Bücher von Heinrich Mann, Ernst Glaeser und Erich Kästner wurden unter dem Ausruf „Gegen Dekadenz und moralischen Verfall! Für Zucht und Sitte in Familie und Staat!“ verbrannt.

In seiner stumpfen und geistlosen Verherrlichung des Krieges, der sozialdarwinistischen Propagierung der Ungleichheit und des Konkurrenzkampfes war das Regime auf Lügen und Propaganda angewiesen, fürchtete den Geist, musste die Intellektuellen verteufeln und die Wissenschaften gleichschalten.
Dieser Angriff auf die Zivilisation scheiterte. Rationalität, eine Kultur der Solidarität und der Anteilnahme konnten nicht ausgerottet, dem Menschen nicht die Menschlichkeit ausgetrieben werden. Wider alle Gewalt war die Aufklärung gegen die Gräuel des Nazi­Regimes und das Nein zu Krieg und Unmenschlichkeit Ermutigung für die Verteidigung der Zivilisation gegen den Faschismus. Das „1000jährige Reich“ konnte gerade zwölf Jahre Bestand haben. Im humanistischen Kulturerbe leben Hoffnung und Ambition auf eine Gesellschaft des Friedens und der Freiheit, der sozialen Wohlentwicklung, auf freundliche Lebensumstände und die weltweit verwirklichte Würde des Menschen. Daraus ist auch heute zu schöpfen.
Wir rufen alle zur Beteiligung an den antifaschistischen Lesungen anlässlich des Jahrestages der Bücherverbrennung durch die Nazis auf.
„Hier sind Sie, die den Intellekt gewählt haben für ihr ganzes Leben – dort aber ein Staat, der ihn haßt und sich erst sicher fühlen könnte nach seiner Niederkämpfung. Jeden ihrer anderen Feinde hassen die Herren des Dritten Reichs auch deshalb, weil das wahrhafte Denken für den Feind und gegen das Reich entscheidet. Den Intellekt hassen sie ganz und gar um seiner selbst willen. (…)
Bekennt und Handelt!“ Heinrich Mann: Studenten! 1935, ebd., S. 298.

V.i.S.d.P.: Arbeitskreis Zivilklausel, ℅ Felix v. Massenbach, Marienstr. 3d, 50825 Köln, Kontakt: zivilklausel@uni-koeln.de www.zivilklausel.uni-koeln.de

Aufruf.pdf

„Wir haben gedacht, wir kommen zurück, aber wir kamen nicht zurück.“

2. Mai 2015

Dienstag 12. Mai 2015

Die Überlebenden Elya Kanter & Leonid Fisch – Film und Gespräch Zwischen Oświęcim, der polnischen, jüdisch geprägten Stadt in der Nähe von Krakau, und Auschwitz, Ort und Symbol der schlimmsten Menschheitsverbrechen, bewegt sich die Erinnerung von Elya Kanter und Leonid Fisch. Geboren und aufgewachsen in einer kinderreichen, traditionell jüdisch-religiösen Familie, folgen unmittelbar nach dem Überfall des Deutschen Reiches auf Polen Zeiten der Flucht, über Krakau und Lemberg (Lwiw) bis nach Usbekistan flieht die große Familie – und erleidet durch Verfolgung und Krieg den Tod dreier Kinder. Leonid lässt sich in die Rote Armee aufnehmen, um gegen Nazideutschland zu kämpfen.

Die Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz, in dem einer seiner Brüder ermordet wurde, prägt sich dem jungen Soldaten tief ein. Der Film (ca. 75 Min.), Ergebnis eines über zwei Tage sich erstreckenden Interviews mit dem Geschwisterpaar Kanter/Fisch, beschreibt die Stationen ihrer Lebensreise bis hin zu ihrer Zuwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion im Jahre 2000 und ihr heutiges Leben in Köln-Porz.

Von der Fähigkeit, sich zu erinnern, und der großen Kraft, in der Erinnerung die Lebenden und die Toten zusammen und beieinander zu halten, gibt das filmische Dokument ein lange nachhallendes Zeugnis.

Eine Veranstaltung des NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln in Kooperation mit „Der halbe Stern“e.V., Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit und der Synagogen-Gemeinde Köln

Ort: Filmhaus Maybachstraße, 12. Mai 2015, 18 Uhr

Eintritt: 4,50 € , erm. 2 €

Flyer Filmveranstaltung

Der Untertan

28. April 2015

12. Mai 2015
19 Uhr, Alte Feuerwache


Melchiorstr. 3, Filmraum
Spielfilm, DDR 1951
Veranstalter: VVN-BdA Köln

der_untertan_4

Der Film nach Heinrich Manns Roman „Der Untertan“ zeigt den kleinbürgerlichen Aufsteiger Diederich Heßling im wilhelminischen Deutschland. Heßling hat gelernt, nach oben zu buckeln und nach unten zu treten. Er knüpft Beziehungen zu einflussreichen Leuten, die ihm nützen können, für seinen geschäftlichen Erfolg, unter solchen Erwägungen wählt er auch seine nicht sonderlich attraktive, aber reiche Ehefrau aus. Und er nutzt seine Beziehungen zum Regierungspräsidenten von Wulkow, um einen unliebsamen Konkurrenten auszuschalten. Sein größtes Erlebnis ist es, den Kaiser aus der Nähe gesehen zu haben. Eifrig sammelt er für ein Kaiserdenkmal in seiner Stadt. Doch die Einweihung geht in einem tosenden Gewitter unter.
Regie: Wolfgang Staudte
Drehbuch: Wolfgang Staudte, Fritz Staudte
Kamera: Robert Baberske, Schnitt: Johanna Rosinski
Musik: Horst Hanns Sieber

Staudte sagte zur Botschaft seines Films: „Ich will die Bereitschaft gewisser Menschen um 1900 zeigen, die über zwei Weltkriege hinweg zum Zusammenbruch Deutschlands im Jahre 1945 führte. Es soll eine Weiterführung meiner Anklage gegen diese Kreise und eine Warnung vor diesen Menschen sein, wie ich es schon in dem Film ‚Die Mörder sind unter uns‘ ausdrücken wollte.“

Die konservative bundesdeutsche Presse der 50er Jahre warf Staudte vor, er stehe „im Dienste kommunistischer Kulturpolitik“ und betreibe die „Bolschewisierung der Welt“. Man verriss den Film als böse und humorlos, nannte ihn einen „Charaktermord“ (Bandmann/Hembus, S. 167).
Und der Spiegel kritisierte:
„Ein Paradebeispiel ostzonaler Filmpolitik: Man lässt einen politischen Kindskopf wie den verwirrten Pazifisten Staudte einen scheinbar unpolitischen Film drehen, der aber geeignet ist, in der westlichen Welt Stimmung gegen Deutschland und damit gegen die Aufrüstung der Bundesrepublik zu machen. Der Film lässt vollständig außer acht, dass es in der ganzen preußischen Geschichte keinen Untertan gegeben hat, der so unfrei gewesen wäre wie die volkseigenen Menschen unter Stalins Gesinnungspolizei es samt und sonders sind.“ (Spiegel, 12. Dezember 1951)
In der ganzen Welt erhielt der Film hohe Anerkennung. Lediglich in der Bundesrepublik Deutschland wurde er für sechs Jahre verboten, da man den Film als Angriff auf die Bundesrepublik betrachtete, in der viele Ansätze eines erneuten Untertanenstaates sahen. Der Interministerielle Ausschuss für Ost-West-Filmfragen, die für die Filmeinfuhr hauptverantwortliche Stelle, untersagte die Veröffentlichung aufgrund § 93 des StGB, der Herstellung von verfassungsfeindlichen Publikationen verbot.
1956 kam es dennoch zu einer einmaligen Aufführung in Westberlin. Nach einer erneuten Prüfung wurde der Film in einer um zwölf Minuten gekürzten Version und mit einem die Grundaussage des Films umkehrenden Vorspruch freigegeben. Dennoch wurde er im Januar 1957 erneut durch die FSK (Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft) verboten. Die Erstausstrahlung im Fernsehen erfolgte in der DDR im September 1954, in der Bundesrepublik im Dezember 1969 (im Bayerischen Rundfunk). Die ungekürzte Fassung bekam man in der BRD allerdings erst seit 1971 zu sehen.
„Der Untertan“ – ein in Zeiten von Pegida auch heute noch höchst aktueller Film.

70 Jahre danach: 8. Mai – Tag der Befreiung und des Gedenkens an die Opfer des Faschismus

28. April 2015

8. Mai 2015 · 16 Uhr · Köln · Hansaring (am Denkmal)

Tag der Besinnung: Für Toleranz, Menschenrechte und Menschenwürde

70 Jahre nach der Kapitulation des Deutschen Reiches ist für alle Demokratinnen und Demokraten klar: Der 8. Mai 1945 ist der Tag der Befreiung von Faschismus und Krieg, der Tag der wiedergewonnenen Demokratie, er ist ein Tag gegen das Vergessen.
Er ist ein Tag des Gedenkens an die vielen Millionen Toten in der Sowjetunion, Europa, Afrika und in Asien. Jüdinnen und Juden, Roma und Sinti, Homo- und Transsexuelle, Kranke und behinderte Menschen, Menschen mit religiösen Hintergrund, die sogenannten „Asozialen“, Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter wurden verfolgt, gequält und ermordet.
Mit dieser Vergangenheit werden die Deutschen immer leben. Sie haben sich nicht selbst befreit von der Diktatur der Nazis. Nur der Sieg der Alliierten machte einen Neuanfang möglich.
Lange dauerte es, bis die alte Bundesrepublik das Verdrängen und Vergessen ablegte. Erst am 8. Mai 1985 erklärte der damalige Bundespräsident von Weizsäcker:
„Wir dürfen den 8. Mai 1945 nicht vom 30. Januar 1933 trennen … Es war Hitler, der zur Gewalt griff. Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges bleibt mit dem deutschen Namen verbunden.“
In den letzten Jahren ist der 8. Mai in mehrerer Hinsicht ein Tag gegen das Vergessen, bundesweit und in Köln: Erinnert sei an Brandanschläge auf Flüchtlingsheime, an die NSU-Morde und -Anschläge und die gewalttätigen Aufmärsche von extrem rechten Kräften.
Nicht zu vergessen, nicht wegzusehen, bedeutet aktuell auch, zu wissen, dass Geflüchteten aus Deutschland zwischen 1933 und 1945 in vielen Ländern Asyl gewährt wurde. Auch deshalb treten wir heute dafür ein, dass Flüchtlinge willkommen geheißen werden, auch in Köln menschenwürdig untergebracht werden und eine Chance bekommen, gemeinsam mit uns zu leben, zu lernen, zu arbeiten und die Gesellschaft zu gestalten. Der 8. Mai fordert Gedenken und gleichzeitig unser E­gagement gegen Rassismus und für ein tolerantes Köln!

Es sprechen:
Dr. Wolfgang Uellenberg van Dawen, Historiker und Sprecher des Runden Tisches für Integration.

Ein/e Vertreter/in der Initiative Keupstraße ist überall

Musik + Literatur vom Städtepartnerschaftsverein Köln-Wolgograd

Im Kölner Bündnis wirken regelmäßig mit: DGB Köln, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke, christliche, jüdische und muslimische Religionsgemeinschaften, AG Arsch huh, VVN-BdA, ver.di, IG Metall, Verein EL-DE-Haus Verein

Aufruf 8. Mai

70 Jahre nach der Befreiung von Faschismus und Krieg: Für eine neue Entspannungspolitik, nein zur Vorbereitung auf neue Kriege!

21. April 2015

9. Mai 2015, 14.00 Uhr

Am 8. Mai 1945 wurde ganz Europa von dem Verbrechersystem des deutschen Faschismus und seinem Krieg befreit. Mehr als 55 Millionen Menschen waren zuvor Nazi-Terror, Holocaust und Vernichtungskrieg zum Opfer gefallen. Millionen Menschen auf der ganzen Welt bezahlten den deutschen Griff nach der Weltherrschaft mit unvorstellbarem Leid.
Anstifter und Nutznießer des Raub- und Vernichtungskrieges waren deutsche Banken und Konzerne. Die deutsche Wirtschaft profitierte von der „Arisierung“ und der Ausbeutung von KZ-Häftlingen und Zwangsarbeitern ebenso wie von der Ausplünderung der besetzten Länder. Es sind die AntifaschistInnen aller Länder und die Anti-Hitler-Koalition der Allierten, unter denen die Rote Armee mit Abstand die größte Last des Krieges in Europa zu tragen hatte, die die Menschheit von den Faschismus befreit haben. Angesichts der deutschen Verantwortung für die beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts muss die historische Konsequenz von 1945 verteidigt und an die nachfolgenden Generationen weitergegeben werden:

Von deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausgehen.

Das entsprechende Ziel der UN-Charta, „künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren“, muss dringend verwirklicht werden, denn mit dem Angriff auf Serbien kehrte der Krieg unter deutscher Beteiligung nach Europa zurück. Seitdem:

  • Werden erneut Kriege für wirtschaftliche, politische und militärische Interessen geführt, die als “humanitär” gerechtfertigt werden
  • Werden Menschen ohne Kriegserklärung oder Gerichtsurteil mit Kampfdrohnen umgebracht, die von US-Stützpunkten auf deutschem Boden gesteuert werden
  • Werden die in der Eifel stationierten Atomwaffen modernisiert
  • Befindet sich am Niederrhein ein Nato-Kommandozentrum für den Luftkrieg
  • Wird gegen Russland eine enorme Aufrüstung von Seiten der NATO (unter Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland) vorangetrieben
  • Werden in einigen Ländern Ost- und Südosteuropas und des Baltikums Faschisten toleriert, sogar von den den Nato-Staaten unterstützt
  • Missbrauchen rechtspopulistische und faschistische Parteien und Gruppierungen zunehmend die Ängste und Sorgen von Menschen in Europa

Entgegen den Festlegungen des 2-plus-4-Vertrages haben sich NATO und EU Schritt für Schritt an die heutigen Grenzen Russlands heran erweitert. Mit der Einbeziehung der Ukraine in EU und NATO-Strategien wurde eine explosive Situation geschaffen. Nicht als Vermittler, sondern als Konfliktpartei behandeln NATO und EU Russland heute als neuen alten Feind, dem sie mit Propaganda, Drohgebärden und Sanktionen gegenübertreten. Wir fordern die sofortige Beendigung dieser gefährlichen Politik. Im 70. Jahr der Befreiung vom Faschismus steht die Bundesregierung in der historischen Verantwortung, eine neue Entspannungspolitik mit Russland auf den Weg zu bringen, in der die Sicherheitsinteressen aller Beteiligten Berücksichtigung finden und für weltweite Abrüstung zu wirken.

An den 8. Mai 1945 zu erinnern, heißt heute mehr denn je, die uneingelösten Konsequenzen aus der Befreiung zu verwirklichen: für zivile Konfliktlösung und Verständigung statt Hetze und Eskalation; für Abrüstung und Rüstungskonversion statt Rüstungsproduktion und –exporte; für eine Wissenschaft und Bildung für den Frieden statt Rüstungsforschung und Kriegspropaganda. Wir sind dem Schwur von Buchenwald verpflichtet: “Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Frieden und der Freiheit ist unser Ziel”.

Wir rufen deshalb auf, am 9. Mai gegen Krieg und Faschismus und für ziviele Konfliktlösungen und friedliches Zusammenleben zu demonstrieren:

Nie wieder Faschismus – Nie wieder Krieg!

Demonstration: 9. Mai 2015, 14.00 Uhr, Hans-Böckler-Platz
Kundgebung: 15.30 Uhr, Domplatte

Initiator(inn)en:
Arbeitskreis Zivilklausel Köln, DFG-VK Köln, Kölner Friedensforum, VVN-BdA Köln

Juden in Oświęcim 1918–1941

3. März 2015

Buch

Lesung mit Lucyna Filip

Oświęcim, bekannt in der Welt unter dem Namen Auschwitz, gilt als Symbol der Vernichtung des jüdischen Volkes. Aber nur wenige wissen, dass diese alte Piasten-Burg einige Jahrhunderte hindurch auch pulsierendes Zentrum jüdischen Lebens war und dass die Juden hier bis 1939 die Mehrheit der Einwohner bildeten. Sie besaßen ihre eigene Religion, Sitten und Sprache und beeinflussten auch das städtische Leben: mit eigenen politischen Parteien, Sportorganisationen und Theaterzirkeln. Der Zweite Weltkrieg veränderte alles. Die Stadt, in der sie geboren und aufgewachsen waren, wurde zum Ort ihrer Vernichtung.
Lucyna Filip legt eine facettenreiche Darstellung des kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Lebens der Juden dieser Stadt zwischen den beiden Weltkriegen vor.
Lucyna Filip, studierte Geschichte und Germanistik, arbeitet als Publizistin und forscht aktuell zum Thema „Juden aus Oświęcim zwischen Holocaust und Emigration“ an der Universität in Katowice.
Eine Veranstaltung in Kooperation mit der Kölnischen Gesellschaft für
Christlich-Jüdische Zusammenarbeit e.V. und dem Katholikenausschuss in der Stadt Köln

Ein Begleitprogramm zur Sonderausstellung Todesfabrik Auschwitz: Topographie und Alltag in einem Konzentrations- und Vernichtungslager

Donnerstag, 26. März 2015, 19:00 Uhr, Treffpunkt: NS-Dokumentationszentrum, Appellhofplatz 23-25, 50667 Köln

Gebühr: € 4,50, ermäßigt: € 2,00

NIE WIEDER KRIEG – NIE WIEDER FASCHISMUS!

3. März 2015

DKP Kundgebung zum Jahrestag der antifaschistischen Kämpfe in der Elsaßstraße am 3. März 1933

NIE WIEDER KRIEG – NIE WIEDER FASCHISMUS!

Samstag, 7. März 2015, 14:00 Uhr

Treffpunkt Bonner Straße / Ecke Zugweg

Gestohlene Kinder – Ein vergessenes Thema der deutschen Vergangenheit

20. Februar 2015

Mittwoch, den 11.03.2015, 20 Uhr, Lutherkirche Südstadt (Martin-Lutherplatz)

ALOJSY TWARDECKI, polnisches Kind, von der SS gestohlen und „eingedeutscht“

Lesung aus seinen Erinnerungen „Schule der Janitscharen“

Gelesen von Svenja Wasser, erläutert von Christoph Koch, Herausgeber und Übersetzer des 2013 auf Deutsch erschienenen Buches (polnische Ausgabe 1969).

Gedenktag 27. Januar- Kultur in Trümmern

9. Februar 2015

Gedenktag 27. Januar- Kultur in Trümmern

Am diesjährigen Gedenktag für die Opfer des Naziregimes stand das Schicksal Kölner Kulturschaffender im Mittelpunkt der Veranstaltung in der Antoniterkirche, an der sich an diesem 70. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz sehr viele Menschen beteiligten.
Die Texte behandelten das Schicksal von Mitgliedern der Agitpropgruppe „Die blauen Blusen“, des Malers Peter Josef Paffenholz, der Schriftstellerin Irmgard Keun und der Sinti-Musiker Familie Reinhardt. Dazu spielte das Markus Reinhardt Ensemble Stücke, die die ganze Vielfalt ihrer Musik zum Ausdruck brachte.
Der anschließende Mahngang führte zum früheren Wallraf-Richartz-Museum, dessen großer Bestand an expressionistischer Kunst als „entartet“ galt. Viele Kunstwerke wurden aber auch in Sicherheit gebracht, bevor die Nazis sie beschlagnahmen konnten.
Zum Abschluss sprach der Kölner Schriftsteller Dogan Akhanli, zum Schicksal verfolgter Schriftsteller, zu Flucht und Exil heute.
Wir dokumentieren Auszüge aus seiner Rede:

„Wir haben gerade vom Schicksal der verfolgten Schriftstellerin Irmgard Keun erfahren, von Büchern, die verbrannt wurden. Mir ist eines dieser verbotenen Bücher in der Zelle eines Hochsicherheitsgefängnisses begegnet, als ich 2010 im türkischen Knast war. Ich durfte deutschsprachige Bücher lesen, weil mich die damalige deutsche Konsulin im Gefängnis besuchte. Das erste Buch, das ich gelesen habe, war „Der Großtyrann und das Gericht“ von Werner Bergengruen. Er war ein deutsch-baltischer Schriftsteller. „Der Großtyrann und das Gericht“ wurde 1935 veröffentlicht, später verfilmt und in 14 Sprachen übersetzt. 1937 wurde Bergengruen (u. a. mit Hinweis auf den Roman „Der Großtyrann“) aus der Reichsschrifttumskammer mit folgender Begründung ausgeschlossen: „Da Sie nicht geeignet sind, durch schriftstellerische Veröffentlichungen am Aufbau der deutschen Kultur mitzuarbeiten.“

Seinem Buch in einer schäbigen Gefängniszelle zu begegnen, hatte symbolischen Charakter. (…)
Wie damals in Deutschland sind Schriftsteller und Künstler für Machthaber in vielen Ländern immer noch unbequem. Zum Beispiel Aung Myint in Birma muss noch 18 Jahre hinter Gittern bleiben. Nach Informationen von amnesty ist er einer von über 1.100 Autorinnen und Autoren, für die sich der PEN-Club zurzeit einsetzt. Rund 700 von ihnen sind im Gefängnis, andere wurden bedroht, entführt, ermordet, sind nach einer Festnahme “verschwunden”, mussten sich verstecken oder wurden zwangsweise ins Exil geschickt. Die vom PEN dokumentierten Opfer der staatlichen Repression stammen aus allen Teilen der Welt. Besonders viele kommen aus China, Iran, Weißrussland, Vietnam oder aus Ägypten.

Die deutsche Gesellschaft ist durch Ihre Aufarbeitung sensibler geworden, wenn es um die Vergangenheit geht. Aber wenn es um die Aufnahme von Roma und Sinti oder etwa Einwanderer und Flüchtlinge aus muslimischen Ländern oder aus dem Kontinent Afrika geht, ist die Gesellschaft nicht genug sensibel.

Ich war auch ein Flüchtling vor 22 Jahre, aber ich habe nicht die Saharawüste durchquert. Ich musste nicht mit einem schäbigen Boot über das Mittelmeer nach Europa fahren. Ich musste keine Angst vor Hunger, Durst und vor dem Ertrinken auf dem offenen Meer haben. In Istanbul stieg ich mit meinem Sohn mit gefälschten Pässen in ein Flugzeug. Als wir landeten, wartete mein vor einem Jahr verstorbener Freund Adnan Keskin mit seiner Frau am Kölner Flughafen auf uns. Sie holten uns mit dem Auto ab und brachten uns zu sich nach Hause. Kurze Zeit später flohen meine damalige Frau und meine Tochter auf demselben Weg nach Deutschland.

Das war Ende 1991. Ich lebte mit meiner Frau, meinem damals achtjährigen Sohn und meiner zweieinhalb Jahre jungen Tochter vorläufig in einem Asylbewerberheim, in einem Gebäude der heutigen Volkshochschule in Bergisch Gladbach, im dritten Stock. Zusammen mit einer kurdischen Familie, im selben Klassenraum. Als die Pogrome und Brandanschläge in Hoyerswerda, in Rostock-Lichtenhagen und in Mölln passierten, haben wir nachts ständig Wache gehalten. Obwohl unser Asylantrag noch nicht anerkannt war, durften wir in eine Wohngemeinschaft ziehen, weil unsere zukünftigen Mitbewohner sich entschlossen hatten, eine Asylbewerberfamilie bei sich aufzunehmen und mit ihr zusammen wohnen wollten. Kurze Zeit nach unserem Einzug starben fünf Menschen bei einem Brandanschlag in Solingen. Es war fürchterlich für uns, nach so langer Verfolgung in der Türkei weiter in einer lebensbedrohlichen Situation leben zu müssen. Aber auf der anderen Seite war mir bewusst, dass wir in dieser WG einen Schutzraum erhalten hatten, der es uns ermöglichte, unser Leben noch einmal aufzubauen. Wenig später wurden unsere Asylanträge anerkannt. Die Kinder durften in die Schule bzw. in den Kindergarten gehen. Wir durften Deutschkurse besuchen, Ausbildungsmöglichkeiten wurden uns angeboten und eine Arbeitserlaubnis erteilt. Kurz gesagt, ohne gesichertes Bleiberecht, ohne politische und persönliche wie auch kollegiale Unterstützung wäre es mir kaum möglich gewesen, ein unabhängiges Leben aufzubauen, meine Projekte durchzuführen und meine schriftstellerische Tätigkeit aufzunehmen.

Im August 2010, nach 20 Jahren in Köln, flog ich zum ersten Mal wieder in die Türkei. Gleich bei meiner Ankunft in Istanbul wurde ich festgenommen und fand mich in einem kafkaesken Prozess wieder, der immer noch nicht zu Ende gehen will. Ich konnte trotzdem als „Geretteter“ nach Deutschland zurückkehren, weil meine Freundinnen und Freunde in Köln, in Hamburg, in Berlin, in Frankfurt, in Darmstadt, in Istanbul, meine Nachbarn in Ehrenfeld und meine Dorfbewohner an der georgischen Grenze gegen die türkische Willkür protestiert haben. Ohne diese Solidarität, ohne Einmischung von Prominenten und von anerkannten Institutionen und ohne die diplomatische Intervention des Auswärtigen Amtes wäre ich bestimmt immer noch in einem Hochsicherheitsgefängnis in der Türkei.

Nun habe ich zwar keinen Zutritt mehr zur Türkei, aber ein Heim in Deutschland.
Wenn ich an die Fluchtgeschichten der jungen Menschen heute denke – an die so langen Wege durch Wüsten, Meere und Berge, nach Mord, Hunger, Durst, Angst und Krieg, die sie hinter sich gelassen haben. Wer gibt uns das Recht, uns abzuwenden? Uns wegzudrehen, wenn sie im Meer ertrinken und so zu tun, als wären sie nicht bei uns, wenn sie ihre Flucht doch überlebt haben?
Ich denke, sie brauchen unser Mitgefühl, unsere Unterstützung und unseren Respekt.

Fotos: Klaus Stein

Fotos: Klaus Stein

Bild7Bild6Bild4Bild2Bild9bild5Bild10Bild3

Ältere Nachrichten · Neuere Nachrichten