5. November 2014
Vom Haus Sülzgürtel 8 aus organisierte im Herbst 1944 die Kölner Gruppe des „Nationalkomitees Freies Deutschland“ den Widerstand gegen das Naziregime. Sie wollte dazu beitragen, den Krieg zu beenden und einen demokratischen Wiederaufbau in Deutschland zu ermöglichen. Zu dieser größten und breitesten Widerstandsgruppe während des Krieges gehörten Kommunisten, Sozialdemokraten und parteilose NS-Gegner und -Gegnerinnen.
Haus Sülzgürtel 8
Am 24. November 1944 – vor 70 Jahren – verhaftete die Gestapo in diesem Haus die Leitung des Komitees und nahm später insgesamt 59 Mitglieder fest. Engelbert Brinker, Johannes Kerp, Otto Richter, Wilhelm Tollmann, Max Neugebauer und Kurt Stahl wurden von der Gestapo zu Tode gefoltert oder starben an den Folgen der Haft. Am 23. November 2014 erinnern wir an die Frauen und Männer der Widerstandsgruppe und machen eine Busfahrt nach Brauweiler. Auf dem Gelände neben der Abtei befand sich ab September 1944 die Haftstätte des Gestapo-Kommandos Kütter. Dorthin wurden auch die verhafteten Mitglieder der Widerstandsgruppe gebracht und bis zur Auflösung der Haftstätte am 10. Februar 1945 brutal misshandelt. Im ehemaligen Frauenhaus, dem einzig erhaltenen Trakt des Gefängnisses, befindet sich heute eine Gedenkstätte, durch die uns Josef Wißkirchen vom Pulheimer Verein für Geschichte führen wird.
Abfahrt Sonntag, 23. November 2014, 13.30 Uhr am EL-DE-Haus, Appellhofplatz 23-25, Rückkunft gegen 17 Uhr, 10 Euro, 5 Euro ermäßigt. (Vereinsmitglieder sind frei.) Verbindliche Anmeldung unter Tel. 42 77 26, Anmeldungen werden in der Reihenfolge des Eingangs berücksichtigt. Begrenzung der Teilnehmerzahl auf 50. Veranstalter sind der Verein EL-DE-Haus und die VVN/BdA (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten).
Zur Geschichte der Kölner Widerstandsgruppe:
Die Kölner Gruppe zählte im Herbst 1944 ca. 200 Personen und wurde von den Kommunisten Engelbert Brinker, Johannes Kerp, Otto Richter, Willi Tollmann und Jakob Zorn geleitet. Das Komitee war zwar kommunistisch geprägt, sprach aber mit seiner Zielsetzung – Sturz des NS-Regimes und Herbeiführung des Kriegsendes – auch Sozialdemokraten, Christliche und Bürgerliche an. Mehr als die Hälfte der Mitglieder waren keine Kommunisten. In größeren Betrieben, in den Humboldtwerken in Deutz, im Carlswerk in Mülheim, bei IG-Farben in Leverkusen und am Güterbahnhof Gremberghoven gab es Betriebszellen. Zu anderen Firmen wie Ford, Kolb, Mercedes und der Kölner Baumwollbleicherei bestanden einzelne Verbindungen. Über die Betriebe entstanden Kontakte zu Zwangsarbeitern. Die Gruppe streute mit einem Kinderdruckkasten hergestellte Flugblätter, in denen man zur Desertion von der Wehrmacht und zur Sabotage der Kriegsproduktion aufrief: „Arbeiter und Soldaten! Keine Stunde für den Krieg! Geht nicht zur Front, kämpft mit uns für den Frieden, für die Freiheit, für die Volksfront, gegen die Nazis“. Am 24. November 1944 verhaftete Gestapo-Kommissar Kütter bei einer Razzia die Führungsspitze in ihrer Zentrale am Sülzgürtel 8. Weitere Festnahmen folgten in den Wochen danach, insgesamt 59.
Grete Humbach erinnert sich:
„Am 24. November 1944 hat es bei uns geschellt… Als ich rausgehen wollte, stand der Kommissar Kütter mit gezogener Pistole vor mir.“ Der damals 16-jährige Sohn Heinz Humbach: „Wir mussten dann alle in der Küche zunächst einmal abwarten. Inzwischen war Willi Tollmann, der auf der zweiten Etage wohnte, aus dem Fenster gesprungen. Er wurde draußen gesucht, aber zunächst nicht gefunden, weil er sich trotz seiner Verletzung in ein ausgebranntes Haus hatte schleppen können und sich dort versteckt hielt.“ Jakob Zorn: „Morgens kurz nach acht befand ich mich mit meinem Rad auf dem Weg zu unserer Zentrale auf dem Sülzgürtel. Wir hatten zu dieser Zeit große Schwierigkeiten mit der Unterbringung der Illegalen, da alle paar Wochen irgendein gutes Quartier durch Bomben vernichtet wurde. So kam es, dass im Hause Sülzgürtel 8 mehrere unserer Freunde wohnten. Als ich nach den üblichen Vorsichtsmaßregeln das Haus betrat, schien alles in Ordnung zu sein. Kaum war ich aber im Flur, da trat hinter mir ein Mann in einem grauen Lodenmantel ein… Er verlangte meine Papiere … und zeigte mir seine Polizeimarke. …Mein einziger Gedanke war, wie ich herauskommen könnte…. In diesem Augenblick betrat ein junges Mädchen das Haus und seine Aufmerksamkeit richtete sich auf das Mädchen. Ich zielte genau auf die Kinnspitze und der Mann schlug mit dem Kopf an die Wand. Mit einigen Sätzen war ich aus dem Hause, wandte mich aber neben der Haustür sofort um und zog meine Pistole. In dem Augenblick, als der Kerl aus der Tür stürzte, schoss ich – und fehlte. Der Polizist taumelte erschreckt zurück, aber mein zweiter Schuss löste sich nicht….
Nun lief ich um mein Leben. Ich hörte hinter mir schießen, aber ich wäre ihnen zweifellos entkommen, wenn sich mir nicht auf der Luxemburger Straße ein junger Soldat in den Weg gestellt hätte. Ich geriet mit ihm so lange in ein Handgemenge bis mich die Verfolger erreichten und überwältigten.“ Heinz Humbach: „Dann sind wir abtransportiert worden, mein Vater und ich als erste. Wir wurden aneinandergefesselt ins Polizeirevier Remigiusstraße gebracht. Mein Vater hat versucht, mir heimlich zuzuflüstern, dass ich keine Aussagen machen darf. Draußen war mittlerweile ein Auto vorgefahren, so eine Art Lieferwagen, in dem waren die übrigen Genossen schon drin… Dann wurden wir rausgefahren nach Brauweiler, wo die Gestapo im Zellenbau ein Sonderkommando untergebracht hatte.“
Haftanstalt Brauweiler
Ferdi Humbach erinnert sich an Brauweiler:
„Ich wurde in eine Zelle gebracht. Es war dunkel, ich hatte den ganzen Tag noch nichts gegessen. Aber ich kannte Brauweiler noch aus meiner Schutzhaftzeit und so fand ich schnell das Bett und legte mich hin. Ich war allein. Viele Gedanken gingen mir durch den Kopf. Habe ich alles richtig gemacht? Habe ich keinen Namen genannt? Zwischendurch hörte ich die Schreie der Genossen, die von der SS verprügelt wurden. Der andere Tag, Samstag, der 25. November, ist der schlimmste Tag für mich. Immer noch kein klares Bild der Dinge… Ich will mir das Leben nehmen, aber als ich die Pulsadern aufschneiden will, klappt es nicht.“ Heinz Humbach: „Dort gab es dann am laufenden Band Vernehmungen. Wir standen draußen auf dem Flur mit dem Gesicht zur Wand, Hände auf dem Rücken gefesselt und einer nach dem anderen wurde vernommen…. Eingedenk der Ermahnungen meines Vaters habe ich mich dumm gestellt. Das führte aber nur dazu, dass die Misshandlungen einsetzten. Ich wurde über einen Stuhl gelegt, der Kopf unter der Lehne durchgestreckt und dann schlugen drei dieser Gestapo-Leute mit Schemelbeinen auf mich ein. Ich bin dann bewusstlos geworden. Im Laufe der Nacht bin ich in eine Zelle eingesperrt worden, die ersten drei oder vier Tage noch auf dem Rücken gefesselt. Das waren eigentlich die schwersten Tage, weil man sich natürlich nicht bewegen konnte. Alles war sehr kompliziert: wenn man auf diesen schönen Kübel da musste. Mit auf dem Rücken gefesselten Händen kann man schlecht die Hose auf- und zuknöpfen und Essen war mehr Fressen, wie ein Hund aus der Schüssel. Ich war eigentlich relativ ruhig und gefasst, obwohl die Umstände sehr schwierig waren. Wir haben zum Beispiel die ersten drei Wochen keinen Tropfen Wasser bekommen. Man konnte sich also nicht waschen, war furchtbar verdreckt, Infektionen, Geschwüre am ganzen Körper.“
Jakob Zorn: „Der feste Bau in Brauweiler hatte nichts mehr mit den Gefängnissen gemein, die ich aus meinen früheren Jahren kannte. Hier herrschte die Gestapo uneingeschränkt. In den eiskalten Zellen gab es als Inventar eine Pritsche mit einem Strohsack und einem Tisch sonst nichts. Nie habe ich in den Monaten in Brauweiler auch nur ein winziges Stückchen Seife bekommen, keine Wäsche, nichts. In der ersten Zeit wurden wir fast alle täglich misshandelt, einige von uns wurden bei den Vernehmungen ganz einfach totgeschlagen wie Engelbert, Otto Richter und Willi Tollmann.“ Dies bestätigt auch die Aussage von Friedhofswärter G. Busch am 27. 11 1945 gegenüber Captain Ortlick, Chef der French War Crimes Mission: „Am 8. 12. 1944 habe ich Willi Tollmann (37 Jahre alt) aus der Leichenhalle (der Anstalt) abgeholt. Er hatte Verletzungen am Handgelenk und am Hals einen roten Streifen. Engelbert Brinker habe ich am 16.12.44 abholen müssen. Nach dem Befund der Leiche muss er schrecklich gefoltert worden sein. Die ersten Glieder an sämtlichen Fingern und Zehen waren schwarz und blau… Ich habe daraus entnommen, dass ihm die Glieder durch Folterungen zerquetscht worden sind… Ich konnte sehen, dass ihm die Geschlechtsteile abgerissen worden waren. Da mir die Sache so ungeheuerlich vorkam und ich annahm, man werde mir später nicht glauben, habe ich mir den Peter F. aus Dansweiler als Zeugen herbeigeholt. Am 27.12. 1944 habe ich Otto Richter (46 Jahre alt) beerdigt. Er war ebenfalls am ganzen Körper von Schlägen schwarz und blau.“
Am 10. Februar 1945 wurde Brauweiler wegen der nahenden alliierten Truppen geräumt. Die Häftlinge des Nationalkomitees sollten vor ein in Königswinter tagendes Sondergericht gestellt werden. Dazu kam es jedoch nicht mehr. Gauleiter Grohé fragte am 21. März bei Reichsleiter Bormann an, wie mit den Häftlingen verfahren werden sollte. Ein von Bormann unterzeichneter „Führerbefehl“ ordnete an „alle inhaftierten politischen Gegner und solche, deren man noch habhaft werden konnte“, zu beseitigen, d.h. zu erschießen. Zur Ausführung kam dieser Befehl nicht mehr. Die Häftlinge wurden in zwei Evakuierungstrecks nach Wipperfürth sowie in das hessische Rockenberg in Bewegung gesetzt. Der Evakuierungsmarsch nach Wipperfürth war von erschreckender Brutalität gekennzeichnet. Die Männer und Frauen mussten gefesselt marschieren. Kranke, die den Strapazen nicht mehr gewachsen waren, wurden sterbend auf Wagen nach Wipperfürth transportiert, ebenso Tote, die am Wegesrand liegen geblieben waren. In den letzten Märzwochen wurden die Gefangenen zu Fuß nach Hunswinkel geführt, wo sie dicht gedrängt in völlig verwanzten und verlausten Barackenräumen hausten. Viele verhungerten. Erst am 11. April kam mit dem Einmarsch der Amerikaner die Befreiung. Der andere Teil der Verhafteten erlebte seine Befreiung durch die Amerikaner im dem Zuchthaus Rockenberg.
Heinz Humbach: „Eines Nachts ratterten die Panzer durch das Dorf… am anderen Morgen stellte es sich heraus, dass es amerikanische waren. Die Zellentüren wurden aufgeschlossen, wir haben uns die Entlassungspapiere ausstellen lassen und haben dann versucht, zu Fuß nach Köln zu marschieren. Wir sind aber nicht weit gekommen, da der überwiegende Teil der Leute krank war, Flecktyphus hatte, lungenkrank war. Abends sind wir von der Militärpolizei aufgegriffen worden. Der überwiegende Teil ist in stationäre Behandlung gekommen.“ Am 18. Juni 1945 brachte ein LKW der Militärregierung die Überlebenden zurück nach Köln.
Malle Bensch-Humbach
Der Text war Teil einer Textcollage, vorgetragen auf der Gedenkveranstaltung für die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar 2013