Am 27. Januar 1945 befreiten Truppen der Roten Armee das Vernichtungslager Auschwitz und die Häftlinge, die von ihren Nazipeinigern nicht auf Todesmärsche geschickt worden waren. Am 25. April 1945 trafen US-amerikanische und sowjetische Soldaten in Torgau an der Elbe erstmals bei der Befreiung Deutschlands vom Faschismus aufeinander und reichten sich die Hand. Anfang Mai 1945 hissten Soldaten der Sowjetunion ihre Fahne auf dem zerstörten Reichstag, nachdem sie unter riesigen Opfern an Menschenleben auch die deutsche Hauptstadt Berlin befreit hatten. Kein Mensch wäre in diesen Tagen auf die Idee gekommen, zu behaupten, der deutsch-russische Vertrag des Jahres 1939 hätte den Zweiten Weltkrieg ermöglicht und daher seien Nazideutschland und die Sowjetunion gleichermaßen für diesen Krieg und seine 50 Millionen Tote verantwortlich. Selbst in den Hochzeiten des Kalten Krieges, in den fünfziger und sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts hätte kein ernstzunehmender Mensch einen solchen Unsinn behauptet.
Als sich dagegen der Beginn des Zweiten Weltkrieges im vergangenen Jahr zum achtzigsten Mal jährte, legte die Mehrheit der Abgeordneten des Europäischen Parlaments fest, „dass der Zweite Weltkrieg, der verheerendste Krieg in der Geschichte Europas, durch den auch als Molotow-Ribbentrop-Pakt bezeichneten berüchtigten Nichtangriffsvertrag zwischen dem nationalsozialistischen Deutschen Reich und der Sowjetunion vom 23. August 1939 und seine geheimen Zusatzprotokolle ausgelöst wurde, die zwei totalitären Regimen, die beide das Ziel der Eroberung der Welt verfolgten, ermöglichten, Europa in zwei Einflusssphären aufzuteilen“. Mit dieser Erklärung, der leider auch zahlreiche sozialdemokratische Abgeordnete zustimmten, wird die Tatsache der Kriegsschuld Nazideutschlands negiert, die Sowjetunion vom Opfer der Naziaggression und Befreier vom Faschismus zum (Mit-)Verantwortlichen für den Krieg gemacht und Ereignisse wie beispielsweise die Annektion Österreichs und das Münchner Abkommen, dass die Zerschlagung der Tschechoslowakei erst ermöglichte, negiert. Der Inhalt dieser Resolution ist falsch, geschichtsrevisionistisch und allein der Tatsache geschuldet, dass Russland politisch isoliert werden soll.
Diese Resolution dient der ideologischen Kriegsführung. Aber schon Jahrzehnte bevor sie von der Mehrheit der Parlamentarier(innen) beschlossen wurde, wurde die militärische Kriegsführung vorbereitet: Die mittel- und osteuropäischen Staaten vom Baltikum bis auf den Balkan wurden in die NATO aufgenommen und damit die Grenze dieses Bündnisses bis an die Westgrenze Russlands verschoben. Gleichzeitig wurden in diesen Ländern NATO-Truppen stationiert, darunter auch Soldat(inn)en der deutschen Bundeswehr. Das diese Stationierung gegen geltende Verträge verstößt, nach denen dort keine NATO-Truppen dauerhaft stationiert werden dürfen, wird von den Verantwortlichen mit einem billigen Taschenspielertrick umgangen: Die Truppen werden regelmäßig ausgetauscht und sind dadurch nicht dauerhaft stationiert.
In diesem Frühjahr werden auch die Bewohner(innen) der Bundesrepublik Deutschland hautnah mit dieser Politik der Aufrüstung gegen Russland konfrontiert: In den kommenden Monaten sollen tausende US-Soldaten mit Ihrem Kriegsgerät durch Deutschland transportiert werden, um die schnelle Truppenverlegung gen Osten zu üben. Dieses Manöver wird nicht nur zu Behinderungen des Verkehrs und zu Zerstörungen an der (Straßen-) Infrastruktur führen, es kostet auch nicht nur Geld, das für Bildung, Kranken- und Altenpflege dringend benötigt würde, es erhöht vor allem die Kriegsgefahr.
Wir Antifaschistinnen und Antifaschisten wissen, wer die Gräuel des 2. Weltkrieges zu verantworten hat: Es sind die Gleichen, die den Völkermord an den jüdischen Menschen anordneten, die Gleichen, die befahlen, mehr als halb Europa zu überfallen, zu besetzen und auszurauben. Wir wehren uns deshalb gegen die geschichtsrevisionistische Resolution des EU-Parlaments. Wir sind aber auch unserer Losung: „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!“ verpflichtet und beteiligen uns deshalb an den Protestaktionen der Friedensbewegung gegen das NATO-Manöver DEFENDER. Von deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausgehen – das gilt auch und gerade in dem Jahr, in dem wir den 75. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus begehen.
tri