Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus

11. März 2020

Alljährlich lädt ein Bündnis in die Kölner Antoniterkirche, um an die Millionen Opfer des nationalsozialistischen Lagersystems, aber auch an die Kölnerinnen und Kölner, die überlebt haben, zu erinnern. Es ist der 75. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz. Vielleicht sind deshalb so viele Menschen gekommen. Die Kirche ist überfüllt. In diesem Jahr liegt der Schwerpunkt auf dem Wirken und den Schicksalen von Frauen während der Zeit des Nationalsozialismus. Die NS-Diktatur setzte ein rückschrittliches Frauenbild durch, minderte Bildungsmöglichkeiten und politische Mitwirkung. Wir hören vom Widerstand der Papierarbeiterin und Kommunistin Gertrud Hamacher. Es wird von der KZ-Ärztin Herta Oberheuser berichtet. Und vom Schicksal von Renée Düring, Jüdin aus Köln.

Gertrud Hamacher

Trautchen Hamacher, geb. Kürten, ist am 9. Dezember 1908 in Köln-Dünnwald geboren und hat bis 1999 gelebt, lange genug, um nicht nur eigene Konsequenzen aus der Nazizeit zu ziehen, sondern sie auch zu lehren. Die Papierarbeiterin wird 1932 arbeitslos wie 85.000 andere Kölnerinnen und Kölner. Mit 22 Jahren tritt sie in die KPD ein. Verhaftung im Juni, Entlassung im Dezember 1933. Gertrud geht nach Holland und beteiligt sich von dort aus am Widerstand. Sie wird als Kurier eingesetzt, bringt Pässe nach Deutschland für illegal Lebende und solche Genossen, die im Rahmen ihrer illegalen politischen Arbeit über die Grenzen reisen. Ihre nächste Station ist Brüssel. Im Mai 1940 wird Belgien von der Wehrmacht besetzt. Ein Fluchtversuch scheitert. Allein der Verkauf der Zeitschrift Rote Fahne führt zur Verurteilung zu zwei Jahren Gefängnis. Zwei Kinder hat sie in dieser Zeit zur Welt gebracht.

Nach Kriegsende engagiert sich Gertrud in der KPD und der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN). Am 27. Juni 1974 strahlt die ARD im Rahmen der Serie „Weltbild. Von Menschen, die nicht in Geschichtsbüchern stehen“, das „Porträt einer Kölnerin“ aus. Nobelpreisträger Heinrich Böll interviewt die Kommunistin Gertrud Hamacher. Schon vor der Ausstrahlung hagelt es Proteste gegen den WDR. Böll: „Es geht mir nicht um eine Bewältigung der Vergangenheit, sondern um ihre Annahme. Mir liegt an innenpolitischer Entspannung in diesem Punkt. Diese Menschen hatten durch ihren Widerstand Anteil an der Entstehung der Bundesrepublik und das wird weitgehend noch geleugnet. Durch den Antikommunismus wurde ihre Rolle nie recht anerkannt. Ich würde Ähnliches durchaus noch einmal machen.“

Herta Oberheuser

Ravensbrück ist ein idyllisches Dorf am Schwedt-See in Brandenburg, Hier errichtet die SS ab Ende 1938 das größte Konzentrationslager für Frauen. Die Häftlinge werden als Zwangsarbeiterinnen in der Rüstungsindustrie eingesetzt. Viele sterben an Hunger und Krankheiten. Die SS exekutiert fast zweitausend vermeintlich Behinderte und Arbeitsunfähige – einzeln mit Schusswaffen. Andere sterben infolge medizinischer Versuche. Herta Oberheuser ist die einzige Ärztin in dem Team.

Sie ist am 15. Mai 1911 in Köln geboren, studiert in Bonn und Düsseldorf Medizin. 1937 wird sie Mitglied der NSDAP und bewirbt sich 1940 nach Ravensbrück.

Ab Herbst 1942 werden dort Versuche über diee antiseptische Wirkung von Sulfonamid durchgeführt. Herta Oberheuser wählt gesunde Polinnen aus. Sie bringt Bakterien, Fäulniserreger, Holzsplitter und Glas in eigens zugefügte Wunden ein. Die Medizinerin hat für eine absichtsvolle Verschlechterung des Heilungsverlaufs, also für ein Höchstmaß an Infektion zu sorgen. Fünf der 74 polnischen Frauen sterben, sechs werden später erschossen.

Sie wird 1945 verhaftet. 20 KZ-Ärzte haben sich vor dem amerikanischen Militärgericht in Nürnberg für ihre medizinischen Experimente zu verantworten. Herta Oberheuser ist die einzige Frau. Oberheuser bestreitet wie die anderen Angeklagten jede Schuld. Morde habe sie nicht begangen. Das Nürnberger Gericht befindet Herta Oberheuser für schuldig. Sie kommt mit 20 Jahren Zuchthaus davon. Ab 1950 werden zahlreiche Nürnberger Urteile abgemildert. Herta Oberheusers Strafmaß wird halbiert. Schon 1952 wird sie aus der Haft entlassen und kann bald wieder in Schleswig-Holstein als Ärztin arbeiten. Dort wird sie zufällig von einer Überlebenden erkannt und angezeigt. Ihr wird die Approbation entzogen. Sie stirbt 1978 in Bad Honnef.

Renée Düring

Renée Düring wird am 7. Januar 1921 in Köln Braunsfeld, Büsdorferstr. 2 geboren.

Unter der Nazidiktatur ändert sich das Leben. Die Eltern schicken die 14-jährige Tochter zu ihrer Tante Lina Hirsch nach Amsterdam. Nach der Bombardierung von Rotterdam im Mai 1940 kapitulieren die Niederlande. Die Wehrmacht besetzt das Land. Juden müssen einen Davidstern tragen. 1942 heiratet Renée ihren Verloben Fritz Krämer in einem Büro im Amsterdamer Zoo, weil jüdische Paare das Standesamt nicht mehr betreten dürfen. Renée lebt versteckt bei ihren Schwiegereltern. Im September 1943 wird sie wegen der Verletzung der Ausgangssperre von einem holländischen Zivilisten festgehalten und gemeldet. Die Mitglieder beider Familien werden nun abgeholt, nur der Schwester gelingt es, sich in Holland versteckt halten.

Nomi Harper, Tochter von Renée Duering neben OB Reker, links die Söhne Gabriel und Benjamin

Die Eltern werden nach Auschwitz-Birkenau deportiert, wo man sie in einer Gaskammer tötet. Auch ihre Tante Lina wird ermordet. Renée und Fritz Krämer werden getrennt. Die letzten Worte ihres Mannes an Renée sind: „Wir werden uns nicht wiedersehen, lebe wohl!“

In Auschwitz führt der Gynäkologe Carl Clauberg medizinische Versuche durch. Er plant, hunderte jüdische Frauen und Mädchen zu sterilisieren. Dafür zahlt er pro Frau und Woche eine Reichsmark an die SS. Renée ist eine von ihnen. Die meisten „Patientinnen“ sterben an den Sterilisationsinjektionen, die hohes Fieber und Entzündungen verursachen. Andere werden ins Gas geschickt, nachdem die Ärzte mit ihnen experimentiert haben. Renée überlebt.

Als die Sowjetarmee naht, beginnen die Nazis im Januar 1945 einen hastigen Rückzug. Die Häftlinge von Auschwitz sollen am 18. Januar 1945 zu Fuß auf einem Todesmarsch in Richtung Ravensbrück evakuiert werden. Renée Düring nutzt diese Gelegenheit zur Flucht.

Sie schlägt sich nach Amsterdam zu ihrer Schwester Ellen durch. Sie lernt einen Soldaten der Britisch-Jüdischen Brigade kennen, Jehuda Engel. Sie heiraten und beschließen, in Israel ein neues Leben zu beginnen. Renée betreibt ein Lokal unter dem Namen „Café Renée“. Es stellt sich heraus, dass im KZ nur ihr rechter Eierstock zerstört wurde, sie kann Kinder bekommen! Aber ihr Mann lehnt das entschieden ab. Im Ergebnis des Streits spricht Renée in ihrem Café einen Gast an, der ihr gefällt. Sie treffen sich und Renée wird schwanger. Ihr Ehemann verlässt sie.

Ich wollte unbedingt, dass das Erbe meiner Eltern weiter besteht. Ich hatte doch so viele Angehörige verloren. Ich wollte ein eigenes Kind zur Welt bringen.“

1954 wird Tochter Nomi geboren. Vier Jahre später gelangen Renée und Nomi nach San Francisco. Renée stirbt mit 97 Jahren am 9. April 2018. In liebevoller Anerkennung erinnert sich ihre Tochter Nomi Harper an ihre Mutter: „Sie gab mir immer das Gefühl, dass ich etwas Besonderes bin, und dass das Leben sehr wertvoll ist. Sie hat mir gezeigt, wie wichtig es ist, dass Kinder spüren, wie sehr sie geliebt werden.“

Grußworte von Stadt und Kirche

Oberbürgermeisterin Henriette Reker kann die Tochter von Renée Duering, Nomi Harper und die Enkel Gabriel und Benjamin begrüßen. Sie sind auf Einladung der Veranstalter aus San Francisco gekommen. Frau Reker erwähnt Gunter Demnig, dem es mit seinen 70.000 Stolpersteinen gelinge, die Opfer aus der Anonymität herauszuholen und ihnen die Würde, ihre Menschlichkeit zurückzugeben.

Pfarrer Mathias Bonhoeffer erwähnt Ina Gschlössl. Unter den Nazis bekam sie als Berufsschullehrerin Berufsverbot, betreute für die Innere Mission als Fürsorgerin verurteilte Frauen im Klingelpütz und unterstützte eine jüdische Familie. Die Straße vor der Antoniterkirche ist nach ihr benannt.

Eindrucksvoll die Musik, die Martina Neschen und der Chor bewegt passend zu den Texten vortragen.

Mahngang

Im Anschluss an die Gedenkfeier bewegt sich ein Mahngang zum Deichmann-Haus am Bahnhofsvorplatz. Hier erinnert eine gläserne Stele an Freya von Moltke und ihren Widerstand.