Redebeitrag des VVN-Mitglieds Olaf Seiler zur Mahnwache in Bergisch-Gladbach am 07.10.2015
„Kameraden, wir sind frei!“
verkündete der Lagerälteste des Konzentrationslagers Buchenwald, Hans Eiden, am 11. April 1945, – und als die Momente der Fassungslosigkeit überwunden waren, richtete sich das Denken der Befreiten in die Zukunft.
Nach jahrelanger Demütigung, Folter, Zwangsarbeit und Hunger im Lager, schworen am 19. April 1945, 21.000 Überlebende, darunter 903 Kinder, den Schwur von Buchenwald.
„Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung.
Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.
Das sind wir unseren gemordeten Kameraden, ihren Angehörigen schuldig.
Die Machtübergabe an Adolf Hitler und die Nationalsozialisten im Januar 1933, führte auch zum wilden Konzentrationslager auf dem Gelände des Stella-Werkes, wo erst politische Gegner gefoltert und dann jüdische Bürger vor der Deportation in die Konzentrations- und Vernichtungslager zwangsinterniert wurden.
Der deutsche Faschismus führte zu einem bespiellosen Völkermord an Juden und Sinti und überzog Europa bis zum Mai 1945 mit Terror und Krieg.
Millionen von Männer, Frauen und Kinder wurden verschleppt und zur Zwangsarbeit gezwungen. Viele verloren dabei nicht nur ihr Leben, viele verloren auch ihre Heimat und damit ihr Zuhause!
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde,
70 Jahre nach der Befreiung vom Faschismus, vor dem Hintergrund von Geschichtsrevisionismus und angesichts von über 200 Todesopfern rassistischer und faschistischer Übergriffe seit 1990, dem beispiellosen Staatsversagen bei den NSU-Morden und einer drastischen Zunahme von rechtsextremen Straf- und Gewalttaten in den letzten eineinhalb Jahren, gehört rassistische Gewalt heute wieder zum Alltag in Deutschland.
Alt- und Neonazis, wie NPD, PRO-NRW, freie Kameradschaften und neuerdings AFD und PEGIDA sind zu einer Bedrohung der Demokratie geworden. Weil sie von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt und von den politische Verantwortlichen, der Polizei und Justiz häufig ignoriert und zum Teil seit über 25 Jahren an einer Faschisierung vieler Regionen, vor allem in Ostdeutschland arbeiten.
So überfielen Neonazis in diesem Jahr die Maikundgebung des DGB in Weimar. In Baden-Württemberg wird ein Kinobesitzer bedroht, weil er einen Film über die Neonaziszene und ihre Gefährlichkeit zeigte. In Köln wird der faschistischen HOGESA zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres der rote Teppich ausgerollt. In Heidenau in Sachsen, kann der rechte Mob tagelang gegen Flüchtlinge hetzen und erst letztes Wochenende wurden Flüchtlinge auf offener Straße in Magdeburg verprügelt.
Im Artikel 1 des Grundgesetz heißt es: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
Ja, es sind Szenen wie die in Heidenau und Magdeburg, die nicht nur an die Pogrome und Anschläge der 90er Jahre erinnern, sie werfen auch Fragen auf.
Wer ist verantwortlich für dieses rassistische Klima in Deutschland?
Warum dürfen Woche für Woche Rassisten unter dem Deckmantel der „Versammlungsfreiheit“ ihre ausländerfeindlichen und pseudosozialen Phrasen auf unseren Straßen und Plätzen verbreiten?
Warum haben Justiz und Strafverfolgungsbehörden in den letzten 25 Jahren die Hetze, die Gewalt und den Terror von Rechts relativiert und verharmlost?
Warum und am wem scheiterte das NPD-Verbotsverfahren? Welche Rolle spielten und spielen die V-Leute?
In wie weit waren der Verfassungsschutz und andere staatliche Organe in die Mordserie des NSU involviert und haben sie ggf. begünstigt?
Ein Blick zurück zeigt, dass besonders die NPD eine wichtige Rolle bei der Radikalisierung der rechten Szene einnimmt. Sie propagiert, wie die NSDAP während Weimarer Republik, seit Jahren einen grundlegenden Umsturz in Deutschland und will einen nationalen Sozialismus errichten.
Zu dieser ideologischen Neuentwicklung hat der damalige NPD-Vorsitzende und ehemalige Bundeswehroffizier und -ausbilder Udo Voigt maßgeblich beigetragen. Schon früh hat er das bei der Bundeswehr erlernte mit in die Partei eingebracht. Er hat die Partei für militante Neonazis geöffnet und kontinuierlich die sich seit 1989 in Ostdeutschland entwickelnde Jugendkultur gefördert und für die NPD vereinnahmt.
In vielen Regionen Ostdeutschlands ist die NPD inzwischen fest verankert, hat einen stabilen Wählerstamm und sickert so immer tiefer in die Gesellschaft ein.
Je unsicherer aber die sozialen Rahmenbedingungen werden, desto attraktiver werden NPD, AFD und PEGIDA mit ihren pseudosozialen Phrasen für viele Menschen.
Es ist geradezu unglaublich, wenn Rechtsextremisten versuchen, ihre menschenverachtende Ideologie als Antwort auf soziale Probleme darzustellen. Trotzdem ist die Strategie der Rechtsextremen vielerorts aufgegangen.
So konnten Neonazis seit 1989 in vielen Regionen der Bundesrepublik ungestört agieren. Die Verantwortlichen von Politik, Polizei und Strafverfolgungsbehörden haben dem braunen Treiben größtenteils teilnahmslos zugeschaut, weggesehen und gewalttätige Übergriffe gegen Andersdenkende und Andersaussehende relativiert und verniedlicht. Sie selbst waren ja nicht von neonazistischer Gewalt betroffen! Zumindest damals noch nicht!
Neben der Umgestaltung des Asylrechts Ende der der 90er Jahre nach den Formulierungsmustern der rechtsextremen Republikaner, der Übernahme von T-Shirt Losungen der Neonazis, wie „Ich bin stolz Deutscher zu sein“, der Wortwahl „durchrasste und durchmischte Gesellschaft“ des ehemaligen Kanzlerkandidaten Stoiber, aber auch die Enttabuisierung des Krieges als Mittel der Politik durch Rot-Grün, so haben wir es heute auch mit einer Enttabuisierung des ultrarechten Gedankenguts aus der Mitte der Gesellschaft zu tun. Verniedlicht und fälschlicherweise aktuell auch „Wutbürgertum“ genannt.
Da ist die Forderung sogenannter Historiker nach Beendigung der Geschichtsdiskussion durch Abschaffung der „Auschwitzkeule“, die angeblich die freie Diskussion behindere.
Da gibt es die ständigen Versuche, die Verbrechen des Nationalsozialismus mit seinen Millionen Opfern durch Terror und Krieg zu relativieren, in dem das Dritte Reich mit der DDR gleichgesetzt wird. – Die beschämenden Extremismus-Debatten durch die CDU/CSU in den letzten Jahren, sind ein weiteres Beispiel für die Ignoranz und Verniedlichung rechtsextremer Strukturen und Gewalttaten.
Und da sind die nie ganz aufgearbeiteten Vorfälle des Rechtsextremismus in der Bundeswehr und die Tatsache, dass die Erörterung des Problems mit der Bundestagswahl 2002 plötzlich abbrach. Die Bundeswehr wurde ja schließlich für den Krieg gebraucht, da durfte sie nicht länger kritisch betrachtet werden.
Das Bundesverfassungsgericht hatte seinerzeit Losungen der Neonazis als zu duldende missliebige Meinung angesehen. Ein Freibrief für Neonazis und ihre Aufmärsche bis heute. Der damalige Präsident des Bundesverfassungsgerichtes, Professor Hans Jürgen Papier hat mit seinen einstweiligen Verfügungen zugunsten der Neonazis immer wieder deren Aufmärsche ermöglicht und damit antinazistische Gerichtsurteile höchster Landesverwaltungsgerichte missachtet. So hat das OVG NRW Anfang 2000 in einer umfangreichen Rechtssprechung festgestellt, dass sich eine rechtsextremistische Ideologie auch nicht mit Mitteln der Demonstrationsfreiheit legitimieren lässt.
Dr. Ralph Feldmann, ein Bochumer Amtsrichter gab seinerzeit einen mutigen Kommentar zum Verhältnis des Bundesverfassungsgericht zu den Rechten ab.
In einem Leserbrief an die WAZ schilderte er den Weg des BVG-Präsidenten Hans Jürgen Papier vom engen Mitarbeiter des Ex-Nazis und Grundgesetzkommentators Theodor Maunz, der übrigens auch Ratgeber der neofaschistischen DVU war, bis nach Karlsruhe.
“Wer sich offenbar ohne Berührungsangst und ohne staatsrechtlichen Ekel in solch wissenschaftliche Gesellschaft begibt, bietet kaum Gewähr dafür, dass er die Beschränkung neonazistischer Hetze verfassungsrechtlich als ein Grundanliegen im Erbe unseres Grundgesetzes entdeckt.“
Diese Aussage spricht für sich.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
der Aufstand der Zuständigen, hat in diesem Land bis heute nicht stattgefunden.
Konservative Kräfte setzen ihre Politik der Halbheiten und Beschwichtigungen gegenüber alt – und neonazistischen Herausforderungen fort, die die Geschichte der BRD seit ihrer Gründung begleiten. Auch sie gehören zu den Ursachen heutiger Chancen und Anmaßungen rechtsextremer Parteien und Organisationen und ihrer demagogischen Parolen.
Eine Konsequenz aus der beschriebenen jahrzehntelangen Untätigkeit gegenüber dem braunen und rassistischen Treiben, war der Einzug der AFD in das Europaparlament im Mai 2014, die dann von Wahlerfolg zu Wahlerfolg eilte. Anschließend marschierten wochenlang Flüchtlingsgegner, Islamhasser und Neonazis unter dem Deckmantel „PEGIDA“ durch Dresden. Vielerorts gründeten Rechtsextreme Initiativen gegen Flüchtlinge und Heime und erhielten Unterstützung von vielen Bürgerinnen und Bürgern.
Das weiterhin begünstigende Verhalten von Polizei und Justiz gegenüber rechten Straf- und Gewalttaten ist zutiefst beunruhigend und macht vielen Menschen, die sich gegen rechts oder für das Wohl der Flüchtlinge engagieren Angst. Denn Neonazis agieren heute aus der Mitte der Gesellschaft heraus, viel frecher und gewalttätiger denn je!
Die Ressentiments gegen Flüchtlinge wurden auch durch den unsäglichen Streit in der Bundesregierung, über den Umgang mit Flüchtlingen, weiter manifestiert. Viel zu lange hat die Bundesregierung die Augen vor der Größe der Aufgabe verschlossen und die Herausforderungen, die die Ankunft, Unterbringung und Integration der Flüchtlinge darstellt, ignoriert.
Vielerorts herrschen chaotische und unmenschliche Zustände vor und in den Erstaufnahmeeinrichtungen.
Unverantwortliche Minister erregen sich über „Wirtschaftsflüchtlinge“, die nur in unsere Sozialsysteme einwandern wollen und schaffen so die Ressentiments, dessen gewaltsamen Ausdruck sie nun beklagen.
Das es auch anders geht, zeigt das ehrenamtliche Engagement tausender Bürgerinnen und Bürger. Nur mit Hilfe der Ehrenamtlichen können Kommunen die Flüchtlinge versorgen und betreuen.
Statt die Fluchtursachen in den Herkunftsländern zu beseitigen, schafft die Bundesregierung jeden Tag neue Fluchtursachen.
Vizekanzler Gabriel hatte angekündigt, den Export deutscher Waffen zu begrenzen. Fakt ist jedoch: Im ersten Halbjahr 2015 wurden mehr Waffenexporte genehmigt, als im ganzen vergangenen Jahr. Für Kriege und Bürgerkriege, für Armut und Perspektivlosigkeit in den Herkunftsländern der Flüchtlinge tragen die EU und die Bundesregierung eine entsprechende Mitverantwortung. Millionen von Menschen werden in die Flucht getrieben, wenn Staaten wie Libyen zerbombt oder wie Syrien mit einem durch europäische Waffen angeheizten Söldnerkrieg überzogen werden. Wenn europäische Fangflotten afrikanische Küstengewässer leer fischen und eine den Westbalkanstaaten aufgezwungene neoliberale Privatisierungs- und Kürzungspolitik zu Massenarbeitslosigkeit und Armut führt, werden die betroffenen Menschen in die EU flüchten.
Wenn die Bundesregierung wirksam die Fluchtursachen bekämpfen wollte, sollte sie auch deutlich mehr als 0,7 Prozent des Haushaltes für Entwicklungshilfe ausgeben und nicht weiter unter der Richtlinie für reiche Industriestaaten zurückbleiben.
Fairer Handel statt Freihandelspakte, eine friedliche Außenpolitik, statt Interventionskriege wie in Afghanistan und Somalia, wären erste wichtige Schritte.
Keine Mauer der Welt wird Menschen, die vor Krieg und bitterer Armut fliehen, davon abhalten, ihren Traum von einem angstfreien Leben zu verfolgen. Wer heute noch auf Abschottung setzt, bringt Menschen in Gefahr und wird für noch mehr Tote im Mittelmeer und auf der Balkanroute verantwortlich sein.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde,
die Ursachen für Rassismus und Neofaschismus sind also vielfältig. Eine weitere Ursache ist die zunehmende Ungleichheit durch Arbeitslosigkeit und Sozialabbau. Nichts rechtfertigt aber die Diskriminierung, die Verletzung oder gar den Tod von Menschen. Nichts rechtfertigt Toleranz oder Schweigen gegenüber neofaschistischen Verführern und deren Gewalttaten. Niemand darf schweigen oder tatenlos zusehen, wenn rechtsextreme Aktionen oder rassistische Übergriffe versucht werden oder stattfinden.
Daher gilt es weiterhin wachsam zu sein, gegenüber allen nationalistischen, rassistischen und fremdenfeindlichen Ideologien und Aktionen. Denn sie vergiften das Klima in unserer Gesellschaft, wo Menschen vieler Nationalitäten, Kulturen und Religionen seit jahrzehnten friedlich zusammenleben.
Humanität, Solidarität, und demokratischer Umgang sind Grundwerte unseres Zusammenlebens.
Wir als Bund der Antifaschisten haben eine Gesellschaft zum Ziel, in der alle Menschen gleiche, soziale und demokratische Rechte haben.
Wer aber wie Neonazis, für das Gegenteil steht, hat sein Recht auf Meinungsfreiheit verwirkt.
Nicht die Existenz rechtsextremer Gruppen und Parteien ist das Problem, sondern eine politische Kultur die eine Akzeptanz gegenüber dem Rechtsextremismus entwickelt!
Insofern ist der Schwur von Buchenwald heute aktueller denn je!
Da Erinnern auch handeln heißt, ist es mir eine besonders große Ehre, nach 25 Jahren heute den Staffelstab der Mahnwache von Walborg zu übernehmen, damit auch weiter an diesem Ort an die Verbrechen und die Opfer des Nationalsozialismus erinnert wird und kein Gras des Vergessens darüber wächst.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.