Bereits seit 26 Jahren findet in Bergisch-Gladbach an jedem Samstag vor dem 9. November, dem Jahrestag der Reichspogromnacht eine Mahnwache für die Opfer des Faschismus statt. Gemeinsame Veranstalter sind die Stadt Bergisch-Gladbach, das DGB-Netzwerk Rhein-Berg und die VVN-BdA. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, darunter viele jüngere Menschen trafen sich vor der Kirche St. Josef, wo der stellvertretende Bergisch-Gladbacher Bürgermeister Josef Willnecker, Herr Reduam Tolli, Mitglied des Integrationsrates, Reimund Smollen (Sprecher des DGB im Rheinisch-Bergischen Kreis, Judith Jacob und Janina Hollmann (Schülersprecherinnen an der Integrierten Gesamtschule Paffrath) und Peter Trinogga (VVN-BdA Köln) zu den Versammelten sprachen. Eröffnet wurde die Mahnwache von unserer Kameradin Walborg Schröder, die die Aktion vor 26 Jahren auch initiierte. Nach der Rezitation des Moorsoldatenlieds gingen die Teilnehmer(inn)en gemeinsam wenige Meter zu einer Gedenktafel, die an die ehemaligen Stella-Werke, 1933 als „wildes KZ“ Ort des Leidens kommunistischer Nazi-Gegner und 1941 Sammelstelle für jüdische Menschen vor deren Deportation.
Wir dokumentieren Auszüge aus den Reden von Walborg Schröder und Peter Trinogga:
Eröffnung und Begrüßung durch Walborg Schröder:
Liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Mahnwache,
Mit dem 9. November sind in der deutschen Geschichte im letzten Jahrhundert entscheidende Wendepunkte verbunden. Der 9. November, der Tag der Reichspogromnacht von 1938, war das Signal der Nazis zur massenhaften industriellen Vernichtung jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger. Die Erinnerung hat einen Ort. Hier ganz in der Nähe im ehemaligen Stellawerk, einem „wilden“ KZ der Faschisten, wurden Menschen aus unserer Stadt – Juden, Kommunisten, Sozialdemokraten, Christen – gefangen gehalten, misshandelt und in Konzentrationslager deportiert. So erinnert die Gedenktafel. So wird auch ihrem Leben und ihrem Widerstandskampf in einigen lokalen Büchern gedacht. Wir verneigen uns vor ihnen und vor allen Opfern des Faschismus. Wir wollen ihren Kampf gegen Nazismus und Barbarei mit allen unseren Kräften fortsetzen. Mit acht Stolpersteinen wird in Bergisch Gladbach seit Februar 2008 an jüdische Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt gedacht. Auf den vor ihren ehemaligen Wohnungen angebrachten Stolpersteinen stehen die Namen der Opfer. Wenn Sie diesen Stolpersteinen begegnen, bitte ich Sie, einen Moment innezuhalten und gegen das Vergessen anzugehen. Vielleicht können junge Menschen in unserer Stadt auch die Pflege der Stolpersteine übernehmen.
Als Zeitzeugin der Nazidiktatur mache ich mir große Sorgen über die aktuelle politische Entwicklung. Pegida und Co. erinnern mich stark an die Rhetorik der Nationalsozialisten. Ich habe noch deren menschenverachtenden Worte vom sowjetischen Volk als den „jüdisch-bolschewistischen Untermenschen“ im Ohr. Diese Worte, mit der entsprechenden Hasspropaganda versehen, versetzten mich damals in große Angst und nahmen mir nur durch die aufklärenden Worte meiner guten lebensklugen Mutter ihren Schrecken. Wir hören auch heute wieder erschreckende und schleichende Äußerungen über Flüchtlinge, die Schutz vor Krieg und Verfolgung bei uns suchen, sowie über Fremde. Als Zeitzeugin, die Krieg und Faschismus aus eigener Erfahrung erlebt hat, habe ich daraus die Schlussfolgerungen gezogen: Nie wieder Krieg und Faschismus! Ich wende ich mich mit den Worten des tschechischen Schriftstellers Julius Fucik an die junge und alte Generation „Menschen, seid wachsam!“ Wehret den Anfängen!
Auszug aus der Rede von Peter Trinogga, VVN Köln:
Sehr geehrter Herr Bürgermeister,
werte Anwesende,
liebe Antifaschistinnen und Antifaschisten,
…Und so ist es an vielen Orten des Naziterrors: Wer sie nicht kennt, erkennt sie auch nicht mehr. Und deshalb ist es gut, dass hier an diesem Ort alljährlich die Mahnwache zur Erinnerung an die Bergisch-Gladbacher Opfer der Nazis stattfindet, die aus politischen oder rassistischen Gründen verfolgt und ermordet wurden.
Es stellt sich allerdings die Frage, warum in jedem Jahr Menschen ihre Freizeit opfern, um hier zu stehen und an Ereignisse zu erinnern, die sich vor 70 bis 80 Jahren ereigneten, eine Zeitspanne, die uns in Zeiten der elektronischen Kommunikation so weit zurückliegend vorkommt, wie der trojanische Krieg? Haben wir nicht andere Probleme, die dringend gelöst werden müssen? Krieg in Syrien, im Irak, im Jemen, in Somalia, Millionen von Flüchtlingen in vielen Ländern der Welt (und um die Relation richtig zu setzen: Ein Teil von ihnen auch bei uns), eine Welt die politisch, sozial und ökologisch aus den Fugen zu geraten scheint?
Aus Sicht der Organisation, die ich vertrete, der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten, gibt es zwei Hauptgründe, warum wir nicht müde werden, die Erinnerung an die Zeit des millionenfachen Massenmords, des Krieges und der dutzendfachen Massaker, wach zu halten. Zum Ersten lässt das Wissen über den deutschen Faschismus und seine Verbrechen nach. Das ist natürlich leicht erklärlich, gibt es doch so gut wie keine Zeitzeuginnen mehr, die von ihren Schicksalen berichten könnten. Das führt dazu, dass selbst in seriösen Medien besten Wissens und Gewissens, oder eben nicht besten Wissens, jede Menge Unsinn erzählt wird. Immer wieder ist in den Medien zu erfahren, jüdische Menschen seien wegen ihrer Religion verfolgt und ermordet worden. Nein, sie wurden Opfer rassistischer Wahnvorstellungen der Nazis, völlig unabhängig davon, ob sie der jüdischen Religion angehörten, Christen waren oder Atheisten.
Oder der völlig unreflektierte Gebrauch der Nazi-Selbstdarstellung „Nationalsozialisten“. Der deutsche Faschismus war nicht national, er vertrat nicht die Interessen der Nation. Er war nationalistisch und chauvinistisch, führte Krieg im Interesse derer, die ihn finanziert und an die Macht gebracht hatten. Und sozialistisch war er schon gerade gar nicht, im Gegenteil. Die Nazis hassten den Sozialismus wie die Pest und ermordeten hunderttausende von Menschen, die tatsächlich Sozialisten waren oder dafür gehalten wurden. Die Bezeichnung „Nationalsozialismus“ war eine positive Eigenwerbung der Nazis, wird aber heute in Medien und Bildungseinrichtungen fast ausnahmslos benutzt, wenn es um den Nazifaschismus geht.
Der zweite und entscheidende Grund, warum antifaschistisches Gedenken, der Kampf gegen Rechts, für Humanität und Frieden, heute immer noch so wichtig ist wie eh und je, ist ein ganz einfacher: Was geschehen ist, kann wieder geschehen – wir sind nicht dagegen gefeit. Wieder gibt es eine endlos lange Wirtschaftskrise in vielen Ländern Europas, verbunden mit Arbeitslosigkeit, Elend, Sozialabbau und fehlenden Perspektiven. Wieder müssen Sündenböcke herhalten, die angeblich die Verantwortung dafür tragen. Und wieder erringen rechte, rassistische und zum Teil auch offen faschistische Parteien Wahlerfolge: In Österreich die FPÖ, in Frankreich der Front National, in Ungarn Präsident Orbans FIDESZ und hier bei uns die AfD. Und wieder neigen auch Teile der bürgerlichen Mitte zum rassistischen Resentiment. Immer wieder werden „Wir schaffen das“ und „Refugees Welcome“ durch „Das Boot ist voll“ und „Ausländer raus!“ ersetzt, demonstrieren HOGESA, KÖGIDA, PEGIDA und andere selbsternannte „Retter des Abendlandes“. Und immer wieder werden Flüchtlinge beleidigt, beschimpft, verunglimpft oder schlimmstenfalls körperlich attackiert, geprügelt, gejagt. Das findet nicht nur in den Bundesländern östlich der Elbe statt, das gibt es auch hier bei uns.
Im kommenden Jahr finden zwei wichtige Wahlen statt: Im Mai wird der nordrhein-westfälische Landtag und im September der Bundestag gewählt. Es besteht die große Gefahr, dass die Politik in Düsseldorf und Berlin danach von den Rassistinnen und Rassisten der AfD mitgestaltet wird, dass offener völkischer Rassismus einen Platz in den Parlamenten erhält. Wir sind gefordert, alles uns mögliche zu unternehmen, immer wieder zu diskutieren, zu argumentieren und an allen Orten, in den Familien, den Schulen und an unseren Arbeitsplätzen Menschen davon zu überzeugen, dass es bei den Wahlen unterschiedlichste Optionen gibt, die Wahl der AfD aber mit Sicherheit keine ist. Wenn wir das tun, wenn wir aktiv gegen Rechts werden oder bleiben, dann war unser heutiges Gedenken kein leeres Wort, keine Pflichtveranstaltung. Wir haben dann nicht, um mit dem englischen Philosophen Thomas Morus zu sprechen, die Asche gehalten sondern die Flamme weitergegeben. Und genau darum geht es beim Gedenken an die Opfer des Faschismus.