Russische Gräber?

19. Juni 2022

Kriege, insbesondere Angriffskriege wie der Russlands gegen die Ukraine, bedeuten Aggression nach außen und Repression nach innen – letztere bei allen Beteiligten, nicht nur den kriegführenden Staaten. Im rot/grün regierten Berlin beispielsweise war es am 8. und 9. Mai, dem Tag der Befreiung vom Faschismus und dem früher in allen Republiken der Sowjetunion und heute in Russland begangenen Tag des Sieges über den Faschismus, an mehr als einem Dutzend Gedenkorten verboten, russische oder sowjetische Flaggen und Abzeichen zu zeigen – und dieses Verbot wurde durch die Berliner Polizei auch strikt durchgesetzt.

Gedenkstätte im Gremberger Wäldchen

Aber nicht nur Aggression und Repression sind Kennzeichen von Kriegen – dazu kommen Propaganda, Lügen und Dummheit. In unserem Land, geschuldet möglicherweise einem seit Jahrzehnten schlechten Bildungssystem, außerdem noch Geschichtsvergessenheit und einfachstem Unwissen. Beides ist vor allem in den Medien feststellbar, in denen sich die Journalist(inn)en in Russophobie zu überbieten versuchen.

In der Kölner Lokalpresse wurde im Vorfeld des 8. Mai darüber berichtet, dass es neben einer Kundgebung zur Unterstützung der Ukraine auch zwei Demonstrationen geben werde, deren Teilnehmer(inn)en Russland unterstützten. Sie gedachten des Sieges über Nazideutschland und besuchten Gräber sowjetischer Zwangsarbeiter(inn)en, u.a. im Gremberger Wäldchen. In der Berichterstattung aber war sowohl vor als auch nach den beiden Autokorsos stets von „russischen Gräbern“ die Rede. Nur: Es handelt sich nicht um russische Gräber, es handelt sich um die Grabstätten von Menschen, die von den Nazis aus der Sowjetunion verschleppt wurden oder in deutsche Kriegsgefangenschaft gerieten und hier ermordet oder zu Tode geschunden wurden. Es waren Ukrainer, Weißrussen, Russen und Menschen aus anderen Republiken der multiethnischen Sowjetunion – Männer wie Frauen.

Aber handelt es sich bei der Aussage von den „russischen Gräbern“ wirklich nur um Unwissenheit, um eine entschuldbare Bildungslücke junger Journalist(inn)en? Oder geht es darum, „russische Gräber“ in Zusammenhang mit vermuteten russischen Nationalst(inn)en zu bringen und damit die Gräber propagandistisch zu schänden? Ich fürchte, es war eine Mischung aus beiden Ursachen.

Als Antifaschist(inn)en lehnen wir jeden Nationalismus ab und die Formen unseres Gedenkens unterscheiden sich aus guten Gründen von der von Menschen aus der früheren Sowjetunion, deren Erinnerungsformen uns oft fremd erscheinen. Kritisieren und bekämpfen müssen wir aber jede Form der Russophobie, unabhängig davon, ob ihre Ursache in Unbildung liegt oder propagandistische Absicht ist.