08.Mai 2022: 77 Jahre Tag der Befreiung

20. Mai 2022

Der 77. Jahrestag des 08.Mai 1945 – dem Tag der Kapitulation Deutschlands – stand im Zeichen des Krieges in der Ukraine. Neben der Rede des Vorsitzenden der VVN-BdA Köln, Peter Trinogga, sprachen Elvira Högemann vom Kölner Friedensforum und Eva Aras, Vorsitzende des Vereins zur Förderung der Städtepartnerschaft Köln – Wolgograd e.V. . Die Reden dokumentieren wir im Folgenden:

Rede von Elvira Högemann, Kölner Friedensforum

Es fällt mir schwer, heute an dieser Stelle vom Frieden zu reden. Hier, am 8.Mai 2022, muss vom Krieg geredet werden.

Heute vor 77 Jahren war die deutsche Bevölkerung – und nicht nur sie – von der faschistischen Herrschaft befreit. Dies vor allem durch die Kämpfe der sowjetischen Armee, in der die Soldaten aller Völker der Union kämpften. Darunter waren Russen, Ukrainer, Weißrussen den Zahlen nach die meisten, sie haben den größten Blutzoll gezahlt. Zugleich hatten die Menschen in ihren Republiken, in denen die faschistischen Armeen am längsten wüteten, die größten Opfer an Leben und Lebensgrundlagen zu beklagen Der unendlich schwere Wiederaufbau des Landes musste als entbehrungsreiche Aufgabe der Menschen in der gesamten Sowjetunion bewältigt werden.

Die Enkel und Urenkel der Kämpfer und Überlebenden dieses Krieges schießen heute aufeinander – das ist kaum zu fassen und zu glauben

Fakt ist: die Regierung der Russländischen Föderation hat einen Angriffskrieg gegen den Staat Ukraine begonnen, sie hat damit das Völkerrecht gebrochen, genauso wie die USA und die NATO unter Einschluss der Bundesrepublik Deutschland seit den 90er Jahren in einer ganzen Reihe von Angriffskriegen das Völkerrecht gebrochen haben.

In unseren Medien und im Diskurs der Politik erlebt das Völkerrecht heute einen – gemessen an den vergangenen Jahrzehnten – ungeahnten verbalen Aufschwung. Angesichts dieser jetzt so ungehemmt vorgebrachten doppelten Standards möchte man sich angewidert abwenden: Was soll’s noch? Jeder macht halt, wie er’s braucht..

Hier und heute, am 8.Mai 2022 bleibt festzuhalten: Das Völkerrecht, aufgeschrieben in der UNO-Charta, materialisiert in der Gründung der Vereinten Nationen, ist ein Ergebnis des Sieges der Antihitlerkoalition über den Fachismus. Mit dem Verbot des Angriffskrieges und dem Gebot, Konflikte durch Verhandlungen gewaltfrei zu lösen, setzt es einen einen zivilisatorischen Standard, den wir Kriegsgegner (wer sonst?) standhaft verteidigen müssen.

Das heißt hier und jetzt: Der Krieg in der Ukraine muss so schnell wie möglich beendet werden – im Interesse der Menschen in der Ukraine und im Interesse des Friedens in Europa. Aber was ist in den vergangenen zweieinhalb Monaten geschehen? Nichts, was den Krieg beendet.
Im Gegenteil, er ist eskaliert – NATO und EU leisten im Wortsinne Schützenhilfe mit immer schwereren – also tödlicheren – Waffen. Die Bundesregierung wirft einen Friedensgrundsatz nach dem anderen über Bord: Es begann damit, dass wir überhaupt Waffen in ein Kriegsgebiet lieferten. Jetzt sind wir schon bei Panzern und schwerer Artillerie. Auf deutschem Boden werden ukrainische Soldaten an NATO-Panzern ausgebildet, augenblicklich in Ramstein vom US-Militär, demnächst wird die Bundeswehr das Gleiche tun.

Der Krieg ist mittlerweile so hoch eskaliert, dass er zu einem großen Krieg werden kann. Krieg auf europäischen Boden, Krieg mit Russland, mit einer einsatzbereiten Atommacht? Mit in Deutschland stationierten Atomwaffen … Nein, sagt die Bundesregierung und wiegelt ab, wir nehmen ja nicht am Krieg teil, wir helfen nur aus mit Waffen. Der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages hat das auf Anfrage bestätigt: Waffenlieferungen seien keine Kriegsteilnahme.

Aber andererseits sagt der gleiche Dienst: die Ausbildung der kriegführenden Soldaten an diesen Waffen wäre es. So geht es Schritt für Schritt die Eskalationsleiter hinauf und in den Krieg hinein. Selbstvergessen, könnte man sagen. Vergessen, wofür man die Hand geboben hat : „Schaden vom deutschen Volke abzuwenden“ . Vergessen wofür? Damit man einem Botschafter einen Gefallen tut, der sich aufführt wie ein besonders schwer pubertierender Jugendlicher, der alle Welt beleidigt, andauernd Forderungen stellt und mit nichts zufrieden ist?

Das ist es natürlich nicht, es ist nur die Bühne, von der immer neue Schritte in den Krieg lanciert werden.

Dahinter stehen Machtstrukturen und Machtambitionen..

Die Ukraine ist ein geopolitisches Filetstück. Sie wäre, wenn Mitglied der „westlichen Gemeinschaft“, also NATO-Mitglied, der Schlussstein der Einkreisung Russlands durch NATO-Staaten, NATO-Basen, NATO-Soldaten und NATO-Waffen. Offenbar scheint jetzt vor allem der selbst ernannten „einzigen Weltmacht“ die Gelegenheit gekommen, diesen Schlussstein zu setzen. Deswegen soll der Krieg nach den Worten Präsident Bidens „bis zum Sieg“ geführt werden – bloß keine Verhandlungen, egal, wie lange der Krieg dauern soll, egal auch , wieviel Leben er kostet und egal auch, was es sonst noch kostet und wen. Zum Beispiel uns, deutsche Normalverbraucher, die jetzt schon täglich darauf vorbereitet werden, dass der „Preis der Freiheit“ von uns bezahlt werden muss.

Wie kommen wir aus dieser gefährlichen Situation wieder heraus?

Wir fordern: Dieser Krieg muss schnellstmöglich beendet werden. Alle Parteien müssen an den Verhandlungstisch, und die Bundesregierung muss eine aktive Rolle schon im Vorfeld bei der Deeskalation spielen.

Probleme liegen zuhauf seit Jahren auf dem Tisch: sie müssen endlich verhandelt werden. Die wichtigsten: Erstens der Status des Donbass. Die westeuropäischen Staaten Frankreich und Deutschland haben jede Aktivität unterlassen, dass das Minsker Ankommen, das sie initiiert und unterschrieben haben, auch verwirklicht wurde. Es hätte dem Donbass den Weg in eine Autonomie eröglicht. Allerdings hat die ukrainische Regierung, obwohl sie es auch unterschrieben hat, deutlich erklärt, dass sie nicht daran denkt, es umzusetzen. Wäre es verwirklicht worden, hätten wir vielleicht diesen Krieg nicht. Statt dessen hatten wir einen Bürgerkrieg in der Ostukrraine, acht Jahre lang.

Zweitens: der Status der Ukraine. Präsident Selenskyj hat ziemlich am Anfang des Krieges eine militärische Neutralität der Ukraine als Verhandlungsgegenstand angeboten. Das wäre ein gangbarer Weg aus der aktuellen Krise und würde langfristig zum Abbau der Spannungen in Europa beitragen. Leider hat der Präsident sich vom „Krieg-bis-zum-Sieg“-Gerede aus den USA anstecken (oder überzeugen?) lassen, und seinem Staat, seiner Bevölkerung damit nachhaltig geschadet. Andere Verbündete sollten vielleicht eine Möglichkeit finden, dass er auf den Pfad des Realismus zurückkehren kann. Schweres Geschütz und Krieg bis zum letzten Ukrainer sind es sicherlich nicht.

Drittens: Stabilität und Sicherheit in ganz Europa.

Dafür gibt es keine Grundlage, solange man dem größten Flächenstaat des Kontinents, einer Atommacht, immer mehr Soldaten, immer gefährlichere Waffen direkt an der Grenze platziert, dazu noch immer großräumigere Manöver abhält, die eindeutig gegen ihn gerichtet sind. Das ist Bedrohungspolitik, die zu nichts Gutem führen kann.

Wir müssen zurück zu den guten Ideen der kurzen Entspannungszeit, dem gemeinsamen Haus Europa, dem Aufbau einer gemeinsamen Sicherheitsarchitektur. Eine andere als eine gemeinsame Sicherheit kann es ja gar nicht geben.

Die russische Regierung hat in den vergangenen Jahrzehnten wiederholt Vorschläge genacht, wie das zu erreichen, mindestens worüber das Gespräch zu führen wäre., zuletzt im Dezember 2021. Sie sind allesamt nicht aufgegriffen, nicht einmal ernsthaft beachtet worden.

Hier nun sehen wir die Aufgabe der Friedensbewegung: Wir müssen die Bundesregierung und unsere kriegsbegeisterte Öffentlichkeit dringend daran erinnern, dass dies der einzige Weg in eine lebenswerte Zukunft ist. Nur im Frieden können die Aufgaben, die der Klimawandel stellt, die Beseitigung von Armut und Hunger, die Entwicklung menschenfreundlicher Technologien bewältigt werden. Wer Rüstung und Krieg fördert, baut sträfliche Hindernisse dagegen.

Und Frieden in Europa heißt, hier und jetzt am 8.Mai 2022: Kein Frieden ohne Russland.

Daran müssen wir arbeiten.

Rede von Eva Aras, Vorsitzende des Vereins zur Förderung der Städtepartnerschaft Köln – Wolgograd e.V.

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

ich möchte etwas zu unserer Städtepartnerschaftsarbeit sagen und warum wir das besonders jetzt für sehr wichtig halten:

Als wir vor 33 Jahren unseren Verein gründeten und dort Kontakte knüpften, waren wir alle überwältigt von der riesigen Versöhnungsbereitschaft und Herzlichkeit der Wolgograder Bürger*innen. Das wollen wir unbedingt halten.

Es gibt einen Soldatenfriedhofbei Wolgograd – auf der einen Straßenseite liegen sowjetische und auf der anderen deutsche Soldaten – ein Symbol für den Friedenswillen nach dem 2. Weltkrieg .

In dem großen Gedenkensemble in Wolgograd, der Mutter Heimat, wird in der dortigen Ruhmeshalle Schumanns Träumerei gespielt – eine Wertschätzung der deutschen Kultur – trotz der immensen Kriegsverluste.

So sehr wir den Krieg Russlands gegen die Ukraine verurteilen, Russland kann und darf nicht ausradiert werden, es gibt eine Zeit danach. Und die Ebene der menschlichen Beziehungen ist noch die einzige, die hält.

Es ist beruhigend zu wissen, dass die Stadt Köln trotz ihrer Aussage, die Beziehungen zu Wolgograd auf Eis zu legen, die Fortführung des Hilfsprojekts garantiert hat. Dort unterstützen wir seit 20 Jahren ein Hilfsprojekt für ehemalige Zwangsarbeiter*innen in Wolgograd.

Der Präsident der deutschen Städtetages, der Münsteraner OB Markus Lewe (CDU), setzt sich deutlich dafür ein, die Fäden der „Volksdiplomatie“ nicht abreißen zu lassen. Er sagt: „Ich rate dringend davon ab, Städtepartnerschaften zu russischen Städten jetzt zu beenden. Denn hier laufen die Verbindungen von Mensch zu Mensch, eben nicht auf staatlicher Ebene… In diesem Sinne können Städtepartnerschaften Friedenssignale senden und deeskalierend wirken“.

Der ehemalige Vorsitzende der Deutsch-Russischen Forums, Matthias Platzeck, nannte die 100 deutsch-russischen Städtepartnerschaften einmal den „goldenen Staub“ in den deutsch-russischen Beziehungen.

Nach einer aktuellen Umfrage der NZZ wurden 1/3 der deutsch-russischen existierenden Städtepartnerschaften ausgesetzt, die meisten dieser Städte und Kreise befinden sich in Westdeutschland.

2/3 der Städte und Kreise haben sich entschieden für eine Fortsetzung der Städtepartnerschaft auch in dieser Krisenzeit ausgesprochen, darunter sind z.B. Berlin, Hamburg, Essen, Stuttgart und Dresden.

Keine Städtepartnerschaft wurde beendet.

Gestern habe ich einen interessanten Anruf bekommen:

es hat mich der ehemalige Wolgograder OB Jurij Starovatych angerufen er hat vor 34 Jahren mit Norbert Burger zusammen die Städtepartnerschaft begründet.

Er grüßt alle Freunde und Bekannten in Köln ganz herzlich, erwähnte, dass Russen und Deutsche sich nah sind und hofft, dass wir uns bald wiedersehen können.

Wie geht es nun den Menschen in Wolgograd mit diesem Krieg?
Wolgograder*innen berichteten uns, dass sie große Angst vor der Zukunft haben, dass z.B. die Preissteigerungen noch viel stärker als bisher zunehmen werden.

Der Ukrainekrieg geht bis in die Familien hinein – darüber zerstreiten sich Freunde und Familien; oft bestehen Familien aus russischen und ukrainischen Angehörigen.
Oft fliegen morgens und abends Militärflugzeuge über den Häusern Wolgograds zu ihrem Einsatz; Wolgograd ist ca. 200 km von der Ukraine entfernt.

In unserem Verein haben ca. 20 Mitglieder Familie bzw. Freunde in Wolgograd und haben regelmäßigen Kontakt miteinander.

Mit der Wolgograder Stadtverwaltung sind wir in gutem Kontakt: sie hoffen sehr, dass sich die gegenwärtigen Vorkommnisse nicht negativ auf uns und den Verein auswirken.

Wir versuchen, alle bestehenden Kontakte mit Wolgograder Bürger*innen zu halten, unser Interesse an ihnen und ihrem Leben zu zeigen.

In Köln beschäftigt uns die Sorge um die wachsende Russophobie: es gab Boykottaufrufe gegen russische Restaurants, Drohungen, Beleidigungen, einen Brandanschlag auf die Lomonossow-Schule in Berlin-Marzahn.

Damit wollen wir uns beschäftigen, z.B. mit Kulturveranstaltungen wie Lesungen russischer Literatur – die Begeisterung für russische Kultur soll auch hier nicht sterben!

Außerdem haben wir Kontakt mit einem Streetworker in Chorweiler aufgenommen, wo es Konflikte zwischen ukrainischen und russischstämmigen Bewohnern gibt; wir überlegen, wie wir gemeinsam etwas gegen russlandfeindliche Bestrebungen unternehmen können.

Es gibt also mehr als genug zu tun!