Lesungen zum Jahrestag der Bücherverbrennung im Jahr des 100. Jahrestags der Neugründung der Universität

6. Juni 2019

Wenn Sie wirklich die Wahrheit kennen lernen wollen, dann halten Sie sich an die unmittelbaren Quellen, lesen Sie die Schriften der Beteiligten, der Gequälten, die Schriften derer, die ausfressen mußten, was andere ihnen eingebrockt haben. Da werden Sie sehen, wie es wirklich gewesen ist. Und hier ist so eine Schrift. (…)Ob einer die Wahrheit schreibt, Herr Professor, das kann man hören. Allerletzten Endes gibt es gar keine andere Möglichkeit, die Wahrheit ausfindig zu machen. Zahlen können trügen – Statistiken erst recht – Dokumente können gefälscht, geschickt ausgewählt, zusammengestrichen sein … aber der Ton der Wahrheit, die Musik der Wahrheit –: das täuscht nie.“

(Kurt Tucholsky alias „Ignaz Wrobel“, „Wie war es –? So war es –!“ Sonntagszeitung, 28.10.1928, (Vorrede zu dem Buch des Matrosen Hans Beckers »Wie ich zum Tode verurteilt wurde«, Ernst Oldenburg Verlag, Leipzig 1928).

Am 86 Jahrestag der Bücherverbrennung der Nazis, im Jahr des 100. Jahrestages der Universität ist wieder gelesen worden aus den Werken, die an den deutschen Universität verbrannt wurden. Geehrt wurden die Hochschullehrer Benedikt Schmittmann und Goswin Frenken, die aufgrund ihrer Kritik und Opposition zum Naziregime ind Konzentrationslagern ermordert wurden – vor dem Hauptgebäude der Universität finden sich Stolpersteine mit ihren Namen. Die Auswahl der über 20 Leserinnen und Leser findet sich unten, zum Revue-passieren Lassen, Nachlesen und Schmunzeln. Die Lesungen fanden in diesem Jahr statt vor einer großen Baustelle, auf dem Bauzaun war in großen Lettern zum Jubiläum der 1919 neu gegegründeten Universität zu lesen „100 Jahre gute Ideen“.

Zu dieser plumpen Beschönigung anzumerken: So glatt war sie nicht, die Geschichte dieses Landes nicht und auch die der Universität nicht, und nicht so einheitlich – nicht in der Literatur und nicht in der Wissenschaft. Es gab diejenigen, die vor 100 Jahren aus dem Krieg kamen, in den sie als Kanonenfutter geschickt wurden, und den sie als Subjekte der Geschichte beendeten und den Kaiser verjagten. Auch diese Stimmen fanden Widerhall in der Universität, noch 1923 bemängelt der Rektor der Universität die Einstellung von Teilen der Studierenden mit den Worten: „Namentlich die ganz jungen Kriegsgefangenen hatten Schlagwortschatz und Gedankenwelt der jungen Arbeiterkameraden getreulich aufgenommen, das heißt die Gedanken der Sozialisten und das Programm der Gewerkschaften.“ Auf der anderen Seite gab diejenigen, die sich direkt daran machten, die Bevölkerung wieder niederzuhalten, die alten Eliten zu Restaurieren und mit Lügen und Hetze über die „Novemberverbrecher“ den Faschisten und dem nächsten Krieg den Boden bereiteten. „Das deutsche Reich muss unbedingt den Erwerb von Kolonien anstreben. Im Reich ist zu wenig Raum für die Bevölkerung“, so ließ Konrad Adenauer, Kölner damaliger Oberbürgermeister und Gründer der Universität schon 1919 verlauten. Die Universität sah sich diesem reaktionären und letztlich rassistisch begründeten Ansinnen seit ihrer Gründung in vielen Bereichen verpflichtet.

Wo diese Seite der Geschichte geglättet wird, kann auch Widerstand nicht gewürdigt und ermessen werden. Die Kölner Hochschullehrer Benedikt Schmittmann und Goswin Frenken wurden aufgrund ihrer Opposition zum Naziregime in Konzentrationslagern ermordet – ermöglicht auch durch die vorauseilend gehorsame Gleichschaltung der Universität mit den menschenverachtenden Zielen der Nazis. Benedikt Schmittmann und andere wirkten gegen preußischen Militarismus und Machtpolitik für ein friedliches Europa, ein kooperatives Wirtschaftssystem und eine ebensolche Weltordnung, an deren Anfang die Überzeugung von der Würde und Produktivität des Menschen stand. Dr. Paul Honigsheim, ein Soziologe der Uni Köln, der sich 1933 aufgrund seiner regimekritischen Haltung ins Exil begab, schreibt in einer Würdigung des Leben Benedikt Schmittmanns, Schmittmanns Thesen hätten ein „momentanes rektoratliches Abrücken“ bewirkt, aber „Bei den Studenten nahm Schmittmanns Popularität nicht ab.“ Es sind dies wohl andere Studenten gewesen, als die verhetzten und burschenschaftlichen Studenten, die 1933 die Studierendenschaft dominierten und mit der Bücherverbrennung geistig-kulturelle Vorraussetzungen für den Eroberungs- und Vernichtungskrieg der Nazis und für Auschwitz legten.

Wider jede wohlfeile Beschönigung waren die Lesungen davor geprägt, der Wahrheit aus Sicht derjenigen zur Ehre zu verhelfen, deren Stimme oft nicht durchdrang – gelesen wurde über die Zustände in Exil und Migration, über das Hinwegschauen über Diskriminierung und Verächtlichmachung, die rechtsextreme Propaganda gewähren ließen. Auch über die Renazifizierung der BRD nach 1945, über die stets waltende Macht der Industrie und mit Heine und Kästner über die Borniertheit deutsch-romantischen Heldenkults. Die Lesungen waren damit ein Plädoyer für wachsame Widerständigkeit und ein entschiedenes Nein! zu jeder Diskriminierung und Entwürdigung, eine Aufforderung zum Hinschauen und Eingreifen, auf das es für die Realisierung von Demokratie und Menschenwürde ankommt.

So verschieden ist es im menschlichen Leben!“

(Peter Panter, Die Weltbühne, 26.05.1931, Nr. 21, in: Lerne Lachen.)

Johannes R. Becher

– Kölner Ballade. Veröffentlicht in: Sozialistische Republik, 14.1.1933.

Bertolt Brecht

– Legende vom toten Soldaten (Ausgewählte Werke in 6 Bänden, Suhrkamp 1997, Band 3

– Freiheit und Democracy (Ausgewählte Werke in 6 Bänden, Suhrkamp 1997, Band 4

– Die neue Mundart (Ausgewählte Werke in 6 Bänden, Suhrkamp 1997, Band 3)

https://www.mtholyoke.edu/courses/ahildebr/spring2007/deutsch222/BrechtBuckowerElegien.pdf

– Die Maske des Bösen (Ausgewählte Werke in 6 Bänden, Suhrkamp 1997, Band 3)

https://www.deutschelyrik.de/die-maske-des-boesen-1942.html

– Fragen eines lesenden Arbeiters

– Geschichten von Herrn Keuner: „Hungern“, „Mühsal der Besten“

– Legende von der Entstehung des Buches Taoteking auf dem Weg des Laotse in die Emigration

– Flüchtlingsgespräche

Elias Canetti

– „Die Blendung“

Heinrich Heine

– Die Lorelei (1823),

– Deutschland, ein Wintermärchen

– Die Grenadiere
– Seekrankheit
– Die Nacht auf dem Drachenfels
– Saphire sind die Augen dein
– Du, mein gnädiges Fräulein, erlaubt
– Himmlisch war’s, wenn ich bezwang
– Das Fräulein stand am Meere
– Seegespenst
– Auf meiner Herzliebsten Äugelein
– Ich glaub’ nicht an den Himmel
– Freundschaft, Liebe, Stein der Weisen
– Ich wollte bei dir weilen
– Gaben mir Rat und gute Lehren
– Fragen
– Zu fragmentarisch ist Welt und Leben
– Und bist du erst mein ehlich Weib

Franz Kafka

– Der Prozess (Suhrkamp-Ausgabe, 1998)

Erich Kästner

– Der Handstand auf der Loreley (Nach einer wahren Begebenheit)

– „Lesestoff, Zündstoff, Brennstoff“ 1965, in: „Kästner für Erwachsene“, Zürich und Frankfurt 1966

– Der Mensch ist gut (1920)
– Die Zeit fährt Auto (1932)
– Stimmen aus dem Massengrab (1928)
– Große Zeiten (1946 – hätte ich eigentlich nicht lesen dürfen 😉 )
– Zeitgenossen, haufenweise (1928)
– Die andre Möglichkeit (1930)
– Das Führerproblem, genetisch betrachtet (1932)

(Alle aus: Erich Kästner. Ausgewählte Prosa und Gedichte. Raduga Verlag Moskau 1985.)

Egon Erwin Kisch

Irmgard Keun

– Um Mitternacht (Roman),

Fritz Kortner

– „Aller Tage Abend“

Rosa Luxemburg:

-Brief an Sophie Liebknecht, Wronke 18.2. 1917 aus: Gesammelte Briefe, Band 5

-Sozialreform und Revolution (Vorwort) aus: Gesammelte Werke, Band 1

Ernst Toller:

– Eine Jugend in Deutschland. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, 1980.
Daraus: „Blick 1933“

Erich Mühsam:

– Der Bürgergarten.

– Rekordleistungen

– Verständigung

– Fiat justitia!

(Alle: Zeitgedichte, Aufbau-Verlag, Berlin und Weimar 1982)

– „Staatsräson. Ein Denkmal für Sacco und Vanzetti, Drama in 15 Bildern“

– Wir haben Aussicht …

(Alle: Trotzdem Verlag, Grafenau / Württ. 1992.)

Anna Seghers

– Das Obdach

Kurt Tucholsky:

– „Wie war es – ? So war es -!“ Vorwort zu dem Buch von Hans Beckers, Wie ich zum Tode verurteilt wurde. Die Marinetragödie im Sommer 1917. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main, 1986

– „Fabel“

Stefan Zweig

– Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers.