Mahnwache Bergisch Gladbach am 9. November

24. November 2024

An der Mahnwache beteiligten ca. 50 Personen. Walborg Schröder von der VVN-BdA eröffnete die Veranstaltung. Die stellvertretende Bürgermeisterin der Stadt Bergisch Gladbach sprach ein Grußwort. Es sprachen außerdem eine Vertreterin von Omas gegen rechts, die ein bewegendes Gedicht vortrug, ein Vertreter des Integrationsrats der Stadt sowie Patrick Graf vom DGB Rhein-Berg. Wir dokumentieren die Rede von Gila Matuszak & Simon Käsbach:

Dass wir hier sind, hat Gründe. U.a. das Datum und den Ort. Und das Gedenken.

Das Datum – der 9. November ist EIN Eskalationspunkt auf dem Weg zu Massenvernichtung und Krieg. Zu Entmenschlichung, Vergewisserung von Gehorsam, Gefolgschaft und Gleichschaltung

Vorausgegangen waren Jahre der Demütigung, Verfolgung und Hetze: „Die Juden sind unser Unglück!“ Kennzeichnung als ebenso minderwertig wie auch anderes „unwertes“ Leben.

Und die Mehrheit des deutschen Volkes machte mit. Die Mitte der Gesellschaft…  Nicht einzelne Monster, denen man sich nicht (mehr) entgegenstellen konnte.

Der Verbrennung von Synagogen waren u.a. schon Bücherverbrennungen vorausgegangen. Auch das konnte schon ungehindert geschehen.

Hier ist man einen Schritt weiter gegangen und hat den Volkszorn „spontan“ sich Luft verschaffen lassen. Ziel dieser Angriffe waren hier schon längst keine Menschen mehr, die Teil der staatlichen Infrastruktur und Fürsorge gewesen wären: keine Feuerwehr war zuständig zu löschen, keine Polizei, um Plünderungen zu verhindern.

Und schon gar keine „Zivilgesellschaft“, die den Menschen zur Seite gestanden wäre – nicht während der Pogrome und nicht hinterher. Keine zivilgesellschaftliche oder gar staatliche Organisation hat sich um Regress oder Betreuung traumatisierter Menschen gekümmert.

Millionen Deutscher Bürger waren machtlos?

Oder haben Millionen auf den Plätzen „Heil!“ gebrüllt? Und auch hier Gehorsam, Gefolgschaft, Einverständnis bewiesen? (Von mir aus auch stilles Einverständnis da ja noch viel mehr Bürger der späteren BRD und DDR still und heimlich „eigentlich“ gegen die Nazis gewesen waren)

Der Ort – die ehemaligen Stella-Werke – waren nicht nur ein Lager, in dem die Juden aus dem Bergischen zusammen getrieben wurden sondern zuerst eines der ersten KZ für alle die Menschen, die den 9. November vielleicht hätten verhindern können: Andersdenkende, Widerständige, Kommunisten, Sozialisten, Gewerkschafter

Gedenken heißt „Nicht vergessen!“ – aber vor allem Erinnern! Und Erinnern heißt, sich Klarheit zu verschaffen, was geschehen ist und zu verinnerlichen, was es bedeutet  – für unsere Gegenwart und Zukunft, für jeden Einzelnen von uns und jeden Tag. Erinnern ist Ermahnen!

Wie wichtig ist der Gesellschaft denn das Bedürfnis, sich Klarheit zu verschaffen?

Vor 50 Jahren nahm sich der Historiker und Holocaust-Überlebende Joseph Wulf das Leben. Er wollte aus dem Haus der Wannseekonferenz einen Gedenk- und Geschichtsort machen. Die Hölle von Auschwitz hat er überstanden aber die Ignoranz im Nachkriegsdeutschland hat ihn zur Verzweiflung gebracht. In seinem letzten Brief von Oktober 1974 schreibt er an seinen Sohn: „ Du kannst Dich  bei den Deutschen tot dokumentieren, es kann in Bonn die demokratischste Regierung sein – und die Massenmörder gehen frei herum, haben ihr Häuschen und züchten Blumen.“

Und diese Massenmörder haben Enkel und Urenkel…..

Antisemitismus, Menschenverachtung und Kriegsgeschrei ist keine neue Erfindung.

Auch nach 1945 war man gerne auf dem rechten Auge blind. Hakenkreuzschmierereien wurden nicht geahndet – sondern allenfalls die antifaschistischen AktivistInnen verfolgt, die diese anprangerten.

Dass vor der Synagoge Köln an Feiertagen Polizei steht? Wir kennen es nicht anders.

Pogrome und Brandanschläge gegen Flüchtlinge waren seit Anfang der neunziger Jahre nahezu alltäglich. Nur wenige Täter wurden zur Rechenschaft gezogen, oft schauten Behörden und Polizei tatenlos zu. Die Botschaft, dass selbst schwerste Straftaten folgenlos bleiben, formte das Selbstbewusstsein jenes rechtsextremen Milieus, aus dem sich z.B. auch das Unterstützer-Netzwerk des NSU rekrutierte.

Wenn jetzt jeder antisemitische oder auch nur vermeintlich antisemitische oder israelkritische Vorfall, der möglicherweise muslimischen Menschen oder Menschen mit Migrationshintergrund zuzurechnen ist jetzt so akribisch dokumentiert wird, lässt uns das wunderbar empört auf andere zeigen.

Ich denke, das haben wir hier auch ganz gut alleine hinbekommen – ohne Import von außen.

Lange hat man von Erinnern nichts wissen wollen und plötzlich hören wir von ganz unterschiedlichen Seiten, dass man die Lehren aus Faschismus, Holocaust und zwei furchtbaren Weltkriegen ziehen müsse. Und diese seien dann: Aufrüstung und Kriegstüchtigkeit!!

Dieser Zynismus diskreditiert und missbraucht jedes Gedenken!

Das Geschäft mit dem Tod und Zerstörung boomt. Die Investoren und Industrien für das Geschäft eines jeweiligen Wiederaufbaus stehen auch schon bereit.

Die Menschen jedoch werden zu Feinden und weitere Traumata werden über Generationen weiter gegeben.

Werden wir dann wieder gedenken?

Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg heißt alle Kräfte und Ressourcen zu investieren in Versöhnung und eine gemeinsame Gestaltung einer für alle bewohnbaren Welt.

Gedenken ist Erinnern, ist Mahnung. Beim Gedenken an das Kriegsende am 8. Mai haben zwei junge Menschen in Köln am Mahnmal am Hansaring gesprochen: ein russischer und ukrainischer Deserteur. Was sie gesagt haben ist einfach und gleichzeitig mehr als ich hier habe sagen können.

Simon wird einige Sätze aus der Rede des Ukrainers vorlesen.

Simon, weil wir der Meinung sind, es sollte auch hier – wie am 8. Mai in Köln – ein junger Mensch stehen: Im Zweifel sind es er und seine Generation die in Gegnerschaft, Hass und Schützengräben getrieben werden.

Zunächst wird Simon sich selbst kurz vorstellen:

Hallo, ich bin Simon und noch Schüler.

Außerdem bin ich seit ca.2 Jahren KlimaGerechtigkeits- Aktivist. Die Betonung dabei auf Gerechtigkeit, denn die Klimakrise ist wie fast alle Krisen heutzutage, eine Krise der Gerechtigkeit und entspringt aus Ungleichheiten. Es hängt so vieles zusammen. Und genau deshalb bin ich natürlich auch Antifaschist.

Rede eines, jungen, ukrainischen Deserteurs  anlässlich des Gedenkens an die Opfer des Faschismus am Jahrestag der Befreiung, am 8. Mai 2024 am Hansaring in Köln

Ausschnitt:

(Ich grüße euch und danke allen, die sich die Zeit genommen haben, hier zu sein, um der Opfer des Faschismus zu gedenken!)

Als ich in der Ukraine aufwuchs, schienen mir viele Dinge selbstverständlich und unbestritten. Mir wurde beigebracht, dass jeder Mensch den gleichen Respekt und die gleichen Rechte verdient, dass es falsch ist, Menschen aufgrund ihrer Herkunft, ihrer Religion oder ihrer Gebrauchssprache zu unterteilen und dass man solche Versuche tadeln sollte. Mir wurde auch beigebracht, dass die Schwachen und Wehrlosen geschützt werden sollten und nicht umgekehrt.

Leider wurde mein Aufwachsen von einer Relativierung all dieser grundlegenden Wahrheiten begleitet. Ich habe miterlebt, wie Politiker in ihrem Streben nach höherem Rating und Finanzmitteln die Gesellschaft in Gruppen aufspalteten, diese gegen einander ausspielten und deren Interessen dreist über die Interessen der Allgemeinheit stellten. Ich habe miterlebt, wie den Gruppen jeder Grund geboten wurde, sich als ungerecht behandelt zu fühlen und wie Ungerechtigkeit, Gewalt gegen die Anderen als der einzig mögliche und daher notwendige Weg dargestellt wird, um „persönliche“ Gerechtigkeit zu erreichen.

Jetzt wird mir klar, dass es solche Kräfte und Einflüsse in jeder Gemeinschaft immer gegeben hat. Deshalb ist es wichtig, solche scheinbar offensichtlichen Dinge zu verstehen (…).

Ungerechtigkeiten können keine weiteren Ungerechtigkeiten rechtfertigen. Das verletzen von Rechten darf nicht als Rechtfertigung für weitere Rechtsverletzungen dienen. Ebenso darf Gewalt nicht als Vorwand für weitere Gewalt genutzt werden.

Nur ein starker Protest gegen die Anwendung von Gewalt als politisches Mittel und für die Entmachtung  der Kriegsgewinnler wird uns dem Frieden näherbringen. Nur ein Protest gegen die Spaltung der Menschen in Gruppen kann uns helfen, den Frieden zu bewahren.

Wir sollten deutlich machen, dass die Bedrohung für unsere Zukunft heute nicht von einer bestimmte Nationalität, Kultur oder Religion ausgeht. Die Bedrohung für unsere Zukunft liegt allein in der Politik der Spaltung und der ungeheuerlichen sozialen Ungleichheit und Machtkonzentration in den Händen von wirtschaftlich Mächtigen. Und die einzige Möglichkeit, diese Bedrohung zu bekämpfen, besteht darin, die Politik der Spaltung abzulehnen, die gegnerische Seite besser zu verstehen, mit ihr emphatisch zu sein und sich international solidarisch für Gerechtigkeit und Frieden einzusetzen.

Ich wünsche mir, dass heute aus den Verbrechen des Faschismus die universalistische Konsequenz für alle Menschen und Völker gezogen wird: Niemand darf diskriminiert werden. Die Würde und die Rechte aller Menschen müssen realisiert und all Kriege beendet werden!

(Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!)

Ergänzung/Positionierung von Simon:

Wir dürfen keine Einzelkämpfer*innen  im Kampf für Gerechtigkeit bleiben! Lasst uns Gemeinsamkeiten untereinander finden und Kämpfe zusammen führen. Nur so haben wir genug Macht dem Faschismus und diesem  ausbeuterischen System zu entgegnen.

Zum Abschluss noch ein Zitat von Erich Kästner:

„Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist.
Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf.
Sie ruht erst, wenn sie alles unter sich begraben hat.
Das ist die Lehre, das ist das Fazit dessen, was uns 1933 widerfuhr.“

Erich Kästner, Schriftsteller