Die VVN – am besten wäre es, wir hätten sie heute nicht mehr nötig.
21. Oktober 2016
Die VVN – am besten wäre es, wir hätten sie
heute nicht mehr nötig.
Am 26. Oktober 1946 wurde die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes für das Land Nordrheinwestfalen innerhalb der Britischen Zone gegründet. Sie fasste mehrere direkt mit der Befreiung gegründete Organisationen zusammen. Darunter die „Vereinigung ehemaliger Konzentrationäre u. politisch Inhaftierter“ und die „ANTIFAKO- Antifaschistische Kampforganisation“. In der sowjetischen Zone war die Vorgängerorganisation die OdF (Die Vereinigung der Opfer des Faschismus).
Mitglied der VVN durfte nur werden, wer selbst Verfolgter war oder als Angehörige unter der Verfolgung gelitten hatte. Es ging in erster Linie um Beschaffung von Nahrung, beheizbarem Wohnraum und wie es in der VVN hieß: wir müssen nicht nur den Schutt aus den Straßen räumen, wir müssen auch den Schutt aus den Köpfen räumen. Es ging um die Entnazifizierung. Die Vorgängerorganisationen wie auch die VVN strebten an, alle Verfolgten der Nazizeit und Widerstandsgruppen zu vertreten.
Bei der Gründung der VVN in Düsseldorf zeigte sich auch diese Breite: Der gewählte Vorstand setzte sich aus Vertretern der KPD, SPD, CDU, Zentrum, FDP, jüdische Gemeinschaft und einer Vertreterin der Frauen zusammen. Bei der Gründungskonferenz gab es Grußworte von Ministerpräsident Dr. Rudolf Amelunxen, dem Regierungspräsident Necker, und dem Oberbürgermeister von Düsseldorf Karl Arnold. Alle begrüßten die Gründung der VVN, ehrten die Widerstandskämpfer und sprachen von der gemeinsamen Aufgabe an einem demokratischen Land mitzuarbeiten. Ernst Saalwächter (KPD) wurde zum Vorsitzenden gewählt. Im erweiterten Vorstand waren Vertreter der katholischen und evangelischen Kirche, sowie Bibelforscher und ein Vertreter der jüdischen Religionsgemeinschaft.
Wie ein roter Faden zieht sich das Gelöbnis von Buchenwald durch das Leben der VVN: Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel. Das sind wir unseren gemordeten Kameraden, ihren Angehörigen schuldig.
Mit den Wurzeln ist auch die Rolle der Industrie gemeint und die Frage, was die führenden Nazis und die Schläger aus den KZs und Folterkammern heute machen. Ebenso wie ein roter Faden zieht sich in der VVN (später BdA) der Einsatz für den Frieden durch. Für die Freiheit musste sich die VVN noch oft in den 50er/60er Jahren einsetzen, da viele der VVN-Kameraden/Kameradinnen wieder inhaftiert wurden, weil sie ihrer politischen Gesinnung treu blieben.
Beim Gründungskongress 1946 wurden 4 Entschließungen verabschiedet: 1) Schaffung eines Gesetzes zur Wiedergutmachung. 2) Entlassung deutscher Freiheitskämpfer (aus den Kriegsgefangenschaften). 3) Lizenz zur Herausgabe einer Zeitungskorrespondenz und eines Buch- und Schriftverlages. 4) Anklage und Verurteilung nationalsozialistischer Verbrecher.
Die Frage der Wiedergutmachung zog sich oft noch bis heute hin. Sinti und Roma, Desserteure und sogenannte Asoziale erhielten meist bis heute keine Entschädigung. Wir erinnern uns noch an den Streit über die Entschädigung der Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen. Schon am 31.12.1947 schrieb Karl Schabrod (KPD-Landtagsbüro) an Peter Lütsches (ehemals Zentrum, dann CDU, bis 1950 in der VVN, danach forcierte er die Abspaltung von der VVN ): „Der Naziversorgungsring liefert dem entlassenen (NSDAP-) Parteigenossen alle Mangelwaren, auf die unsere V.V.N.- Mitglieder, die Ausgebombten, die Flüchtlinge und Bunkerbewohner vergeblich warten, prompt ins Haus, den Herd und die Kohlen, das Fahrrad und das Radio.“ Nur auf Druck der VVN erhielten die anerkannten Verfolgten eine größere Kalorienzuteilung. Emigrierte deutsche Künstler aus den USA sammelten für die Verfolgten und sandten Care-Pakete.
Die Lizenz der Verfolgtenzeitung ließ auf sich warten und dann konnte „Die Tat“ nur in geringer Auflage gedruckt werden, angeblich wegen Papierknappheit.
Der Kalte Krieg begann. CDU-Mitglieder traten aus der VVN aus, die SPD startete 1948 den Unvereinbarkeitsbeschluss zur VVN-Mitgliedschaft. Die VVN setzte sich, treu dem Schwur von Buchenwald, gegen die Remilitarisierung ein. Gleichzeitig deckte sie viele NS-Verbrecher auf, die in der Regierung saßen oder regierungsnahe Ämtern bekleideten. Der Regierung unter Adenauer wurde die VVN unbequem und als kommunistische Gefahr dargestellt. Schon im September 1950 gab es für Mitglieder der VVN Berufsverbote im Staatsdienst. Am 26. Juli 1951 wurde der Rat der VVN (der in allen 4 Zonen wirkte) durch die Bundesregierung verboten. Den engen Zusammenhang zwischen Aufdeckung von Verbrechen und Repressalien gegen die VVN kann man am deutlichsten am Fall Oberländer ersehen: Die Zeitung „Die Tat“ wollte einen Artikel über Bundesvertriebenenminister Theodor Oberländer herausbringen. Der Vertriebenenminister bekam Wind davon und erwirkte eine einstweilige Verfügung gegen die Auslieferung der Zeitung. In dem Artikel waren Oberländer Beteiligung an einer Mordaktion in Lemberg 1941 nachgewiesen worden. Keine 3 Wochen später stellte Bundesaußenminister Gerhard Schröder einen Verbotsantrag für die VVN wegen Verfassungswidrigkeit. Aufgrund internationaler Solidarität und dem Protest der „FIR – Internationale Föderation der Widerstandskämpfer“ wurde kein Verbot ausgesprochen.
Hier im Rheinland gab es aber auch noch eine andere Seite der VVN. Die VVN feierte Karneval mit hervorragenden politischen Büttenreden.
1968 tat sich bei der Jugend etwas. In der großen Protestbewegung fragten die Jugendlichen u. a. was ihre Eltern während der Nazizeit gemacht hatten. 1968 gab Beate Klarsfeld dem Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger eine schallende Ohrfeige. Bundeskanzler Kiesinger war ab 1940 stellvertretender Leiter der rundfunkpolitischen Abteilung des Außenministeriums und hatte engen Kontakt zum Reichspropagandaministerium. Noch am gleichen Tag wurde Beate Klarsfeld zu einem Jahr Haft verurteilt. (Wie lange dauern Prozesse gegen NS-Verbrecher und wie lange brauchte die Polizei, um nach dem Bombenanschlag in der Keupstraße dessen rassistischen Hintergrund einzuräumen?)
Natürlich war die VVN in dieser Zeit nicht untätig, aber 1971 gab es einen vorwärtsweisenden Schritt: Am 22. Mai 1971 auf dem VVN-Bundeskongress in Oberhausen erweiterte sich die Organisation in „Bund der Antifaschisten“. Die VVN verjüngte sich und das war dringend notwendig, gerade weil die nächste Generation der Faschisten und Rassisten immer gewalttätiger wurden. Alte und junge Nazis organisierten sich in Parteien, Jugendorganisationen und Kampfgruppen. Immer wieder kam es dazu, dass die Polizei eher die rechten Demonstranten schützte und nicht diejenigen, die sich gegen den braunen Mob stellten.
Wer aus der Geschichte nicht lernt, ist verdammt sie zu wiederholen. Die VVN-BdA ist heute mehr denn je nötig. Wir müssen weiterhin zu den Ursachen des Faschismus aufklären, uns gegen die Rechten stellen, Ausstellungen und Veranstaltungen organisieren, in Gedenkstätten mitarbeiten und gegen Geschichtsverfälschung auftreten. Es gibt zum Glück viele Gruppierungen die ähnlich denken und handeln wie wir. Denken wir nur an „Köln stellt sich quer“ und andere, die sich oft mit mehr Fantasie und Engagement gegen die Rassisten, Kögida, Pro Köln etc. stellen. Aber wir brauchen trotzdem auch die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten. Wir brauchen sie wegen ihrer Kontinuität und auch ihrer Organisation. Durch unsere Bibliotheken und unsere Archive haben wir großes Wissen angesammelt, dies gilt es weiterzugeben. Die „Tat“ gibt es nicht mehr, dafür die Zeitung „Antifa“ die regelmäßig mindestens auf 2 Seiten von der VVN-BdA-NRW berichtet. Es gilt aber auch, unsere Organisation mit Leben zu erfüllen.
Klara Tuchscherer,
Betreuerin des Landesarchivs der VVN in Wuppertal und
Mitinitiatorin der „Kinder des Widerstandes
Antifaschismus als Aufgabe“