Wahnsinn oder Methode?
15. November 2014
Der 26. Oktober 2014 war in vielfacher Hinsicht ein brauner Tag in der jüngeren Kölner Geschichte. War es den Antifaschist(inn)en bisher noch fast immer gelungen, rechte Aufmärsche bestenfalls zu ver-, möglicherweise aber auch nur zu behindern, wurde die Zusammenrottung tausender randalierender rassistischer Marodeure aus gutem Grund in Ruhe gelassen, der Protest gegen Rechts musste sich aufs Symbolische beschränken. Musste deshalb, weil auf je vier braune Hooligans nur etwa ein(e) Gegendemonstrantin kam. Das zeugt entweder von mangelhafter Mobilisierungsfähigkeit oder von mangelnder Aufmerkamkeit oder von beidem – auf jeden Fall aber fehlt eine arbeitsfähige und schlagkräftige antifaschistische Struktur, die in der Lage ist, rechtzeitig die Menschen vor Naziaktionen zu warnen und die Gegenwehr Demokrat(inn)en über die politischen Lager hinweg zu organisieren. Da ist eine selbstkritische Diskussion aller Beteiligten nötig und dazu viel Arbeit.
Bei der Kölner Polizei und ihrem Dienstherrn, NRW-Innenminister Jäger fehlt diese Bereitschaft zur Selbstkritik völlig – im Gegenteil, die unglaubliche Blamage der Polizei (fast 50 verletzte Beamt(inn)en, ein umgeworfenes Einsatzfahrzeug, nur 17 Festnahmen marodierender rassistischer Gewalttäter, so gut wie keine erkennungsdienstliche Behandlungen) wurde der verblüfften Öffentlichkeit als Erfolg guter polizeilicher Strategie und Taktik verkauft. Die Lacher waren den Verantwortlichen gewiss – auf ihrer Seite hatten sie sie nicht.
Und noch eine Aussage von Polizei und Verfassungsschutz musste verblüffen: Die Demonstration der HOGESA sei keine ursächlich rechte Aktion gewesen, die Neonazis, die zu Hauf in Köln waren, hätten sich dem Protest der eigentlich unpolitischen Hooligans, die außer ihrem Hang zu Schlägereien keine anderen Interessen hätten, nur angeschlossen – unter „ferner liefen“ sozusagen. Wer sich Filmaufnahmen des Mobs angesehen hat, kann den Polizeiführern und den angeblichen Experten vom Geheimdienst entweder nur völlige Unkenntnis unterstellen oder böse Absicht. Nach all den Enthüllungen zum Thema „NSU“ neigt man eher zur zweiten Möglichkeit.
Auch in einer zweiten Frage müssen wir entweder von völliger Unkenntnis oder von absichtlicher Irreführung der bzw. durch die Polizeiführung ausgehen: Der öffentlichen Facebook-Seite, die für jeden zugänglich war, konnte unschwer entnommen werden, dass sich mehrere tausend Rassist(inn)en inKöln versammeln würden, aus teilweise blutigen Erfahrungen rund um Fußballspiele, musste bekannt sein, was das bedeuten würde. Die Anmelderin der Gegendemonstration machte bei einem Gespräch einige Tage vor dem 26. die Polizei noch einmal auf die zu erwartende Menge aufmerksam – ohne jeden Erfolg. „Ist es auch Wahnsinn, hat es doch Methode“, lässt Shakespeare Polonius im „Hamlet“ sagen – und der kannte die Kölner Polizeiführung noch nicht einmal.
Die Frage nach Absicht oder Kalkül der Polizeiführung (incl. des Innenministers) muss derzeit wohl noch ungeklärt bleiben, klar ist allerdings eines: Innenminister Jäger und Polizeipräsident Albers müssen zurücktreten – und zwar schleunigst. Ob wegen völliger Unwissenheit oder einer völlig verfehlten Strategie und Taktik ist dabei gleichgültig. Stattdessen brauchen wir an der Spitze der Polizei Menschen, die wirklich gewillt und in der Lage sind, gegen Nazis konsequent vorzugehen