70. Jahrestag der Befreiung von der Belagerung Leningrads

28. Januar 2014

Am 21. Januar fand in den Räumen der Synagogengemeinde Köln eine Konferenz zum 70. Jahrestag der Befreiung Leningrads statt. Eingeladen hatten der Bundesverband der Veteranen des 2. Weltkrieges und der Verein der Überlebenden der Leningrader Blockade in Köln.

Die 900 Tage Blockade der Stadt von 1941 bis 1944 war nicht nur eine militärische Belagerung, sondern hatte die vollständige Zerstörung der Stadt und die Vernichtung der Mehrzahl ihrer Einwohnerinnen und Einwohner zum Ziel. Von 2,5 Millionen Menschen blieb nur ein Fünftel am Leben und über 1 Million verhungerten in dieser Zeit.

Die Konferenz hatte sich zum Ziel gesetzt, an dieses Kriegsverbrechen zu erinnern. Zur Synagogengemeinde Köln gehören inzwischen viele ehemalige Leningrader. Mehrere von ihnen ergriffen im Laufe der Veranstaltung das Wort und berichteten von ihren Erlebnissen in der belagerten Stadt.

Die VVN-BdA Köln hatte eine Einladung zur Konferenz erhalten und übergab eine Grußadresse an die Veranstaltung. Darin heißt es:

Sehr geehrte Damen und Herren,

im Namen der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten Köln bedanken wir uns für die Einladung zu Ihrer Konferenz anlässlich des 70. Jahrestages der Befreiung von der Belagerung Leningrads. Es ist eine Ehre für uns, hier mit Überlebenden dieses beispiellosen Kriegsverbrechens zusammen sein zu dürfen. Mit Frauen und Männern, die an der Befreiung der Welt vom Hitlerfaschismus aktiv beteiligt waren. Für diese Befreiung können wir deutschen Antifaschistinnen und Antifaschisten nicht genug danken.

Unsere Organisation wurde 1947 von Menschen gegründet, die die Konzentrationslager der Nazis überlebt hatten, die verfolgt, eingesperrt, ins Exil getrieben und gefoltert wurden. Es waren sowohl politisch als auch aus rassistischen Gründen Verfolgte, Menschen jüdischer Herkunft, Kommunisten, Sozialdemokraten, Christen.

Ihr Hauptanliegen bestand darin, alles dafür zu tun, den Schwur der Überlebenden des Konzentrationslagers Buchenwald zu verwirklichen, den Nazismus und seine Wurzeln zu vernichten. Nie wieder sollte es Krieg geben, nie wieder sollten die Völker West- und Osteuropas unter deutschen Soldaten zu leiden haben. Mit diesen Forderungen machten sich die Mitglieder der VVN nicht gerade beliebt bei den Regierungen der Bundesrepublik. Die Organisation war Anfang der sechziger Jahre sogar von einem Verbot bedroht – Proteste aus der ganzen Welt sorgten dafür, dass es soweit nicht kam.

In den 70er Jahren öffnete sich die VVN jungen Antifaschistinnen und Antifaschisten. Die alten Widerstandskämpfer sind heute in der Minderheit und Jahr für Jahr müssen wir uns von vielen für immer verabschieden. Die Jüngeren aber sind fest entschlossen, in ihrem Sinne weiter zu arbeiten: Gegen Faschismus, gegen Rassismus und Antisemitismus, gegen Krieg – für Frieden, Demokratie und Freundschaft unter den Völkern.

Wir versuchen auch hier in Köln, die Erinnerung an Naziterror, Krieg und deren Opfer wach zu halten. Und wir setzen uns aktiv immer wieder gegen neue Nazis und Rassisten ein – in Veranstaltungen wie auf der Straße.

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Blockade Leningrads vom 8. September 1941 bis zur Befreiung am 27. Januar 1944, – auf den Tag genau ein Jahr später wurde von der sowjetischen Armee das Vernichtungslager Auschwitz befreit –, war ein monströses Verbrechen, ein beabsichtigter Massenmord, getarnt als Kriegshandlung. Zum Opfer fielen ihm über 1 Million Menschen – in allererster Linie Zivilisten: Frauen, Kinder, alte Menschen. Viele von Ihnen waren dabei, mussten die Leiden durchleben und wissen viel besser als wir, was damals passierte.

Was wir feststellen können ist: Dieses gigantische Kriegsverbrechen, der Massenmord an Menschen, die den Nazis als „slawische Untermenschen“ galten, spielt im kollektiven Gedächtnis der Deutschen kaum eine Rolle. Wahrscheinlich ist daran der kalte Krieg und die Systemauseinandersetzung schuld.

Aber egal woran dieses Vergessen liegt, wir sollten dafür eintreten, dass die Hungerblockade und der Mord an den Menschen in Leningrad auch und gerade in Deutschland als das gesehen wird, was es war: ein Kriegsverbrechen, begangen von der deutschen Wehrmacht. Und dazu gehört nicht nur eine politische und wissenschaftliche Aufarbeitung, sondern auch eine juristische.

Es wäre dringend an der Zeit, herauszufinden, welche Offiziere verantwortlich waren und sie, falls sie noch am Leben sind, wegen massenhaftem Mord vor Gericht zu stellen. Dabei muss nicht im Mittelpunkt stehen, alte Männer ins Gefängnis zu schicken, sondern es sollte auch juristisch ein für allemal festgestellt werden, dass die Hungerblockade Leningrads eine Maßnahme des Vernichtungskrieges, ein Kriegsverbrechen war und keine „normale“ Kriegshandlung der deutschen Wehrmacht.

Als Deutsche können wir die Vergangenheit nicht ungeschehen machen, aber wir können uns ihr stellen und für sie Verantwortung übernehmen.

Wenn es gelingt, dieses Verbrechen wieder ins Bewusstsein der deutschen Öffentlichkeit zu rücken, wäre das ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Freundschaft zwischen unseren Völkern. Lassen Sie uns gemeinsam dafür eintreten.