Der Teufel in Frankreich: Die Gedenkstätte Les Milles
13. Januar 2014
Ein Besuch im einzig erhaltenen großen Internierungs-,
Transit- + Deportationslager Frankreichs
Das diesjährige Jahresabschlusstreffen war wieder gut besucht. Auf dem Programm stand ein Vortrag von Claudia Wörmann-Adam über die Situation der deutschen Emigranten in Südfrankreich während der Nazizeit und ihren Besuch in der Gedenkstätte Les Milles, wo viele der deutschen Künstler und Schriftsteller damals interniert waren. Hier ein Artikel von Claudia zu ihren Besuchen dort.
Als ich Ende der 70er Jahre Lion Feuchtwangers Buch „Der Teufel in Frankreich“ das erste Mal las, wollte ich sofort den Ort sehen, den er so eindrücklich beschrieben hatte: Die alte Ziegelei von Les Milles, ursprünglich ein kleiner Ort, jetzt ein Stadtteil von Aix en Provence. Im nächsten Urlaub war ich da. Die Ziegelei, ein sehr großes monumentales Gebäude, ist nicht zu übersehen. Allein damals gab es keinen Hinweis auf die unrühmliche Geschichte der Ziegelei. Ich sprach Arbeiter an, die ihre Mittagspause machten und fragte nach einem Saal, von dem ich gelesen hatte, mit Wandmalereien. Den Arbeitern sah man an, dass sie dachten „die spinnt“ aber man schickte mich zur Verwaltung und dort erhielt ich freundlicherweise einen Schlüssel und die Wegbeschreibung und konnte den von ehemaligen internierten Künstlern bemalten Saal in Augenschein nehmen.
In den Folgejahren beobachtete ich erste Aktivitäten, um an die Geschichte von Les Milles zu erinnern. Dazu muss man wissen, dass das Nachkriegsfrankreich große Mühe hatte und hat, sich dem unliebsamen, unehrenhaften Teil seiner Geschichte zu stellen, der der Kollaboration mit Nazideutschland.
Anfang der 80er Jahre wurde bekannt, dass der Saal mit den Wandmalereien zerstört werden sollte, daraufhin mobilisierten ehemalige Deportierte und Widerstandskämpfer Aktionen zum Erhalt des Saales. In der Folgezeit gründete sich ein Komitee zur Schaffung eines Museums. 1992 wurde ein Mahnmal installiert: Ein Eisenbahnwaggon, wie er zur Deportation von über 2.000 jüdischen Männern, Frauen und Kindern von les Milles nach Auschwitz benutzt wurde.
Les Milles wurde 1939 zunächst als Internierungslager für „feindliche Subjekte“, dann Transitlager für „Unerwünschte“ und zuletzt als Deportationslager für Menschen jüdischer Herkunft genutzt.
Les Milles ist eng mit der Geschichte des deutschsprachigen Exils verbunden: bedeutende Intellektuelle und Künstler waren dort interniert: Lion Feuchtwanger, Alfred Kantorowicz, Friedrich Wolf, der Dichter Walter Hasenclever aus Aachen, der die Künstler Max Ernst aus Brühl und Anton Räderscheidt aus Köln, um nur einige zu nennen. Die Aufenthaltsbedingungen im Lager waren unbeschreiblich, das Gebäude, das ja eine Ziegelei war, eignete sich überhaupt nicht für den Aufenthalt von zeitweise bis zu 2.000 Personen, es war dreckig, staubig, die sanitären Verhältnisse unbeschreiblich.
Im letzten Jahr wurde Les Milles nach langen Jahren des Umbaus endlich Gedenkstätte. Im Juli besuchte ich erstmals die umgebaute Ziegelei. Es hat mich sehr beeindruckt! Man sieht die ehemaligen Lagerstätten, beeindruckende historische Dokumente, wie die Menschen dort gelebt aber auch Kunst betrieben haben.
Les Milles ist aber nicht nur Gedenk- und Dokumentationsstätte, sondern richtet sich vor allem an neue Generationen. Es wird der Zusammenhang aufgezeigt zwischen der Geschichte der Shoah und anderen Völkermorden: jenen an den Armeniern, Sinti und Roma und in der Neuzeit an den Tutsi.
Es gibt breite pädagogische Angebote, Filme, Ausstellungen. Es werden unterschiedliche Formen des Widerstandes gezeigt und ermuntert über eigene Formen von Widerstand nachzudenken. Besonders beeindruckt hat mich ein Plakat, auf dem ein Arbeiter der Werft Blohm & Voss in Hamburg auf einer Nazikundgebung gezeigt wird, der als einziger nicht den Arm zum Hitlergruß gehoben hat. Dafür steht die Parole „chacun peut réagir – chacun peut résister – chacun à sa manière“: jeder kann reagieren – jeder kann widerstehen jeder auf seine Art.
Ein Besuch von Les Milles ist unbedingt zu empfehlen.