Geteilter Picasso, vielfältige Wirkung
2. Januar 2022
Bis zum 30. Januar ist im Kölner Museum Ludwig eine kulturpolitisch höchst interessante Ausstellung zu sehen: Der geteilte Picasso . Der Künstler und sein Bild in der BRD und der DDR.
Von den rund 150 Exponaten sind die wenigsten originale Werke von Picasso, bei den meisten handelt es sich um Ausstellungsansichten, Plakate und Kataloge, Presseberichte, Briefe, Akten, Filme und Fernsehberichte. Und um den großen Theatervorhang aus dem Berliner Ensemble, auf den Bertolt Brecht „die streitbare Friedenstaube meines Bruders Picasso“ malen ließ. Der Ausstellung geht es um die Unterschiede der öffentlichen Rezeption. Sie öffnet Augen.
Das Pariser Musée Picasso trennt sich zugunsten Kölns zeitweilig vom „Massaker in Korea“. Das Bild ist Anfang 1951 als Reaktion auf den Krieg der USA gegen Nordkorea entstanden. Unmittelbarer Anlass war ein Massaker zwischen dem 17. Oktober und 7. Dezember 1950. Das „Museum amerikanischer Kriegsgräuel“ zählt über 35.000 Zivilisten, die durch US-amerikanische Streitkräfte und deren südkoreanische Unterstützer im Kreis Sinchon getötet worden sind. Damals wurde das Land vor allem durch Luftangriffe verwüstet. Picasso war seit Oktober 1944 Mitglied der KP Frankreichs. „Ein Kommunist bin ich geworden, weil unsere Partei mehr als andere sich darum bemüht, die Welt zu verstehen und zu bauen, und darum, dass Menschen klarer denken, freier und glücklicher sind. Ein Kommunist bin ich geworden, weil die Kommunisten in Frankreich, in der Sowjetunion wie in meinem eigenen Land, Spanien, am tapfersten sind.“ Er engagiert sich in der Weltfriedensbewegung. Seine Lithografie „Die fliegende Taube“ vom 9. Juli 1950 wird für den Warschauer Friedenskongress (16. bis 22. November 1950) genutzt. Picasso ist Teilnehmer. Die Tagung des Weltfriedensrats vom Februar 1951 fasst eine „Entschließung über einen Beschluss der UNO, die Volksrepublik China ungerechterweise Aggressor in Korea zu bezeichnen“ sowie eine weitere „zur friedlichen Lösung der Koreafrage“. Das Waffenstillstandsabkommen bestätigt drei Jahre später, am 27. Juli 1953, die vormalige Demarkationslinie auf dem 38. Breitengrad. Die Bilanz des Krieges: Der Zahl von 37.000 getöteten US-Amerikanern steht die von 4,5 Millionen koreanischer und chinesischer Opfer gegenüber. Die meisten wurden von Napalm- und anderen Bomben getroffen.
Im Westen galt: Picasso ist ein Revolutionär der Form. Aber „Sein Werk ist unpolitisch“, verfügte Prof. Werner Schmalenbach 1976. Der Direktor der Kunstsammlung NRW bezeichnete Picassos „Guernica“ als Ausnahme. Picasso schuf das Riesengemälde im Auftrag der Regierung der spanischen Republik für den Pavillon der Pariser Weltausstellung. Seine Formen dienten in kubistischen Bildern dazu, den Raum zu untersuchen und sein Kontinuum, das für Newton noch zweifelsfrei war, in Frage zu stellen. 1937 aber, im Guernica-Bild, werden diese Formen zu Ausdrucksmitteln für eine politische Stellungnahme zugunsten der jungen spanischen Republik und gegen ihre Feinde, der putschenden Franco-Armee samt ihren Verbündeten aus Hitler-Deutschland und dem faschistischen Italien. Das Bild kam später nach New York in das Museum of Modern Art, wo es gemäß Picassos Verfügung bis nach dem Tode Francos blieb. Und es diente als Vorlage für die Tapisserie im Eingangsbereich zum Sitzungssaal des UN-Sicherheitsrates, die der frühere US-Vizepräsident Nelson Rockefeller der UNO spendete (Rockefeller jr. forderte es im Februar 2021 zurück). Der Bildteppich ist ein Hinweis auf den antifaschistischen Konsens, der im Juni 1945, einen Monat nach dem Sieg über Hitler-Deutschland, zur Gründung der Vereinten Nationen geführt hat. Aber am 5. Februar 2003 ließ der US-Außenminister Colin Powell Picassos Tapisserie mit blauem Tuch verhängen, um die erlogenen Beweise zu erläutern, die die Produktion von Massenvernichtungswaffen im Irak belegen und den Krieg gegen das Land rechtfertigen sollten. Tatsächlich bombardierten die USA ab 20. März 2003 Bagdad und eroberten die Stadt. US-Präsident George W. Bush erklärte am 1. Mai den Sieg. Die folgende Besatzung kostete mindestens einer halben Million von Menschen das Leben. Powell hat später zugeben müssen, dass er gelogen hatte. Aber schon bei der Verhängung von „Guernica“ wurde er erwischt. „Das Verschleiern hat den Inhalt offengelegt“, nannte es Werner Spies. „Das Bild hält eine Ausrottung fest.“ Sogar BILD nahm Stellung. Am 8. April 2003, dem 30. Todestag von Picasso, war auf der letzten Seite „Guernica“ abgebildet. Der Sammler Heinz Berggruen erläuterte seine Bewandtnis und schilderte die Aktion von Colin Powell im UNO-Gebäude. Das Bild kommt im Museum Ludwig mehrfach vor: Als Illustration einer heuchlerischen Anzeige der Bundeswehr: „Feindbilder sind die Väter des Krieges“. Es ist Thema im Katalogheft „Annäherung an Picasso“, 1979, Nationalgalerie der Staatlichen Museen der DDR, anlässlich der gleichnamigen Ausstellung von Picasso-Werken aus der Sammlung Ludwig. Und es illustriert ein Plakat gegen die Berufsverbote aus den siebziger Jahren: „Dieser Künstler hätte an einer westdeutschen Hochschule nicht lehren dürfen“. Und es ist zufällig auch im NRW-Landtag zu sehen. Dort zeigt die GEW NRW ihre Ausstellung „Berufsverbote: Aufarbeiten und entschädigen!“ bis 3. Dezember. Der sogenannte Radikalenerlass vom 28. Januar 1972 soll seinen 50. Jahrestag nicht überdauern!
Klaus Stein