Jahrestag der Befreiung von Auschwitz
19. März 2019
Eine Metallplatte ist in den Gehweg eingelassen. Text: „Hier wurden die Weichen für Hitlers Ernennung zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 gestellt und die Voraussetzungen für die menschenverachtende Diktatur der Nationalsozialisten geschaffen. Kurt von Schröder unterstützte bereits vor 1933 die Ziele des Nationalsozialismus und organisierte nach 1933 finanzielle Leistungen der deutschen Wirtschaft an die SS.“
Köln, Schildergasse 57, Antoniterkirche.
Vor 50 Jahren fand Dorothee Sölle hier Asyl für ihr „Politisches Nachtgebet“. Seit 1996 wird der Opfer des Nationalsozialismus anlässlich des Jahrestages der Befreiung der Konzentrationslager von Auschwitz gedacht. Das geschah am 27. Januar 1945 durch die Sowjetische Armee. Träger der jährlichen Gedenkveranstaltung ist ein breites Bündnis, das Kirchen, Parteien und den DGB einschließt. Die Kirche ist wie jedes Jahr bis auf den letzten Platz besetzt, viele müssen stehen. Unterbrochen von musikalischen Beiträgen des Chors „bewegt“ und von Klaus, dem Geiger, sprechen Maria Ammann, Markus Andreas Klauk, Doris Plenert und Stefan Preiss Texte, die ein Vorbereitungskreis zusammengestellt hat. Thema sind in diesem Jahr die Banken und Konzerne, die für den Krieg produzierten und davon profitierten, und auf der anderen Seite solche Kölnerinnen und Kölner, die Opfer des verbrecherischen Vernichtungskrieges wurden, die als KriegsgegnerInnen verfolgt, als Zwangsrekrutierte ausgebeutet und teilweise in den Tod getrieben wurden. Es geht auch um die Kölner Gruppe der Zeugen Jehovas. Sie wurden verfolgt, weil sie sich weigerten, Dienst an der Waffe zu leisten.
Die Gedenkstunde beginnt mit dem eingangs zitierten Text der Bodenplatte am Stadtwaldgürtel. Sie erinnert an das Treffen von Adolf Hitler und Franz von Papen im Hause des Privatbankiers Kurt Freiherr von Schröder am 4. Januar 1933. Auch Heinrich Himmler und Rudolf Heß waren anwesend. Schröder selbst bekennt 1947 in Nürnberg: „Diese Zusammenkunft zwischen Hitler und Papen wurde von mir arrangiert. Die allgemeinen Bestrebungen der Männer der Wirtschaft gingen dahin, einen starken Führer in Deutschland an die Macht kommen zu sehen, der eine Regierung bilden würde, die lange an der Macht bleiben würde. Als die NSDAP am 6. November 1932 ihren ersten Rückschlag erlitt und somit also ihren Höhepunkt überschritten hatte, wurde eine Unterstützung durch die deutsche Wirtschaft besonders dringend. Ein gemeinsames Interesse der Wirtschaft bestand in der Angst vor dem Bolschewismus und der Hoffnung, dass die Nationalsozialisten – einmal an der Macht – eine beständige politische und wirtschaftliche Grundlage in Deutschland herstellen würden.“ In diesem Sinne wurde schon bald nach dem Ersten der Zweite Weltkrieg vorbereitet. Der begann am 1. September 1939 mit dem Überfall des Deutschen Reiches auf Polen, 21 Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs.
Was hatte die Vergesslichkeit gefördert? Wer sorgte für den Hass, den Rassismus, die Vernichtungsbereitschaft? Aktuell war es die Weltwirtschaftskrise zwischen 1929 und 1932 und in ihrem Gefolge Massenarbeitslosigkeit und Elend. Das war der Nährboden für die nationalistische und soziale Demagogie der NSDAP. Die Nazipartei wurde von entscheidenden Teilen des deutschen Kapitals finanziert. Unter den reaktionärsten Kapitalvertretern verbreitete sich die Einschätzung, dass nur noch mit Aufrüstung, Krieg und Ausdehnung des Herrschaftsgebiets, bevorzugt im Osten günstige Verwertungsbedingungen samt Aussicht auf Extraprofite herzustellen seien.
Schröder und die Herren der Schwerindustrie brauchten einen starken „Führer“. Sie wollten die Diktatur und bekamen sie.
Bereits am 14. Oktober 1933 erklärt die Hitler-Regierung den Austritt aus dem Völkerbund. Im März 1935 wird die allgemeine Wehrpflicht wieder eingeführt. Am 7. März 1936 marschieren drei Bataillone der Wehrmacht über die Hohenzollernbrücke und rücken in den bis dahin entmilitarisierten Westen des Landes ein – ein klarer Bruch des „Versailler Vertrages“. In Köln profitieren kleine wie große Betriebe von der Rüstungskonjunktur. Zu nennen sind beispielsweise Felten & Guilleaume in Mülheim, die Humboldt-Deutz-AG in Kalk, die BAMAG (Berlin-Anhaltische Maschinenbau AG) in Bayenthal, die Pohlig AG für Transport-, Geräte- und Stahlhochbrückenbau in Zollstock, die Vulkan AG für Gusswarenproduktion in Ehrenfeld, die Glanzstoff Courtaulds GmbH oder die Ford-Werke AG in Niehl, die F.W. Brüggelmann Söhne oder die Rheinische Gummiwarenfabrik AG Franz Clouth in Nippes. Der wirtschaftliche Aufschwung und die nationalistische Aufbruchstimmung erzeugen bei vielen Kölnerinnen und Kölnern Wohlwollen für das NS-Regime. Wenige widersetzen sich der Kriegshetze. Klara und Fritz Stoffels tun es wegen ihres Glaubens. Als Zeugen Jehovas werden sie wegen Wehrkraftzersetzung und Feindbegünstigung zum Tode und lebenslangen Ehrverlust verurteilt. Am 11 August 1944 wird Klara Stoffels in Berlin-Plötzensee hingerichtet, drei Tage später auch Fritz.
Wie verändert sich die Situation in den Betrieben, als immer mehr Männer an die Front geschickt werden? Zwei der wichtigsten Rüstungsbetriebe kommen in den Blick. Schlosser Franz Poweleit ist bei der Klöckner-Humboldt-Deutz AG (KHD) beschäftigt. Hier werden Motoren hergestellt. Poweleit erinnert sich eher an den zunehmenden Unmut unter den Kollegen im Verlauf des Krieges. Er schließt sich einer Gruppe an, die aus parteilosen Arbeitern, Sozialdemokraten, und dem ehemaligen Mitglied der KPD, Engelbert Brinker, besteht. Brinker organisiert über die Jahre eine Widerstandsgruppe, sogar ein Mitglied der NSDAP schließt sich an. In ganz Köln sind in den Jahren 1939 bis 1945 etwa 100.000 ausländische Arbeitskräfte eingesetzt. Auch bei KHD und Ford arbeiten zuletzt eine große Zahl von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern, zumal mit ihnen die größten Gewinn zu erzielen sind.
Die Kölner Ford-Werke produzieren 60% aller 3-Tonnen Kettenfahrzeuge für die Wehrmacht. Ohne die auf Hochtouren laufende Produktion bei Ford wäre kein Blitzkrieg im Osten und Westen möglich gewesen. Im August 1942 besteht bereits ein Viertel der Ford-Belegschaft, das sind eintausend Beschäftigte, aus ausländischen Arbeiterinnen und Kriegsgefangenen, die meisten sind Russinnen und Ukrainerinnen. Elsa Iwanowa und Inna Kulagina kommen aus Rostow, einer Stadt am Don. Sie sind 16 Jahre alt, als sie 1942 von den Wehrmachtssoldaten in einen Güterwagen gestopft und zusammen mit 100 weiteren Jugendlichen abtransportiert werden. Der Fordwerker Fritz Theilen, ein Edelweißpirat, berichtet vom Hunger der ZwangsarbeiterInnen, aber auch von Sabotageaktionen. Im Oktober 1944 wird ein KZ-Lager „Köln-Ford“ auf dem Werksgelände als Außenlager des KZ Buchenwald eröffnet. SS-Männer bewachen die 50 KZ-Häftlinge. Für die im Werk eingesetzten Zwangsarbeiter zahlt Ford 6 RM für Facharbeiter und 4 RM für ungelernte KZ-Häftlinge an die SS.
Ford liefert im Krieg an beide Fronten. Für die Wehrmacht produzieren die Werke in Köln, Poissy, Triest, Amsterdam, Barcelona, Budapest, Bukarest und Antwerpen. Für die Alliierten und die USA produziert Ford im irischen Cork und im englischen Dagenham. Die Bedeutung der Kölner Ford-Werke für die Rüstung der Wehrnacht ist den US-Streitkräften bekannt. Dennoch wird es erstmalig am 15. und am 18. Oktober 1944 angegriffen. Und es werden nicht Werksanlagen, sondern nur das Zwangsarbeiterlager getroffen.
An die Gedenkstunde in der Antoniterkirche schließt ein Mahngang zum Deserteursdenkmal am Appellhofplatz an. Es steht dort seit 2009. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden hier über gegenwärtige Militäreinrichtungen und Rüstungsbetriebe in Köln unterrichtet.
Pfarrer Mathias Bonhoeffer hatte zu Beginn Frau Elya Kanter begrüßt. Sie wird am 5. Februar 90 Jahre alt. Bis 2. September 1939 war sie in Oświęcim/Auschwitz zuhause, der Stadt neben dem Vernichtungslager. Ein Teil der Familie konnte fliehen. Ihr Bruder aber wurde in Auschwitz ermordet. Frau Kanter überlebte in der Sowjetunion und ist heute Mitglied der Synagogengemeinde Köln.
Oberbürgermeisterin Henriette Reker hatte in ihrem Grußwort die fortschrittlichen Traditionen der Antoniterkirche gewürdigt. Dazu gehört die jährliche Gedenkveranstaltung zum Auschwitztag. Sie findet seit 1996 statt.