Elsassstraße, 3. März 1933: Eine Straße wehrt sich gegen die Nazis
16. März 2019
Wer heute durch das Severinsviertel und die Südstadt geht, kann sich kaum mehr vorstellen, dass es sich dabei früher um Arbeiterstraßen und -wohngebiete handelte. Wo heute angesagte Kneipen, Restaurants und schicke Läden zu finden sind, waren einst kleine Wohnungen und Hinterhöfe. Die Menschen, die dort unter schlechten Bedingungen wohnten, waren Erwerblose, Arbeiter(innen) und ihre Familien. Viele von ihnen waren Mitglieder oder Sympathisant(innen) der Arbeiterparteien. Besonders die KPD war stark vertreten.
Die Nazis bekamen in diesem Viertel im wahrsten Sinne des Wortes lange keinen Fuß auf die Erde. Selbst in den ersten Wochen nach der Machtübertragung an die NSDAP und ihre rechtskonservativen Verbündeten (in der ersten Regierung unter Adolf Hitler als Reichskanzler waren die Minister mit einem NSDAP-Parteibuch in der Minderheit), gelang es den Schlägerbanden von SA und SS nicht, triumphierend durch die Arbeiterstraßen zu ziehen. Noch waren insbesondere die Kommunistinnen und Kommunisten aktiv, brachten Flugblätter und Zeitungen in Umlauf und versuchten, ihre illegalen Organisationen aufrecht zu erhalten – auch wenn viele von ihnen bereits verhaftet waren und in SA-Sturmlokalen und „wilden“ KZs gequält wurden.
In der Reichstagswahl vom 5. März 1933, die für die Arbeiterparteien bereits mehr oder weniger unter illegalen Bedingungen stattfanden, erhielt die NSDAP in Köln „nur“ 33,1 % der Stimmen – gut 10 Prozentpunkte weniger als im übrigen Reich. Die beiden großen Oppositionsparteien erhielten genau 33 % (SPD 18,3 %, KPD: 12,3 %), die Zentrumspartei, in katholischen Rheinland traditionell stark, kam auf 25,6 %. Die Naziherrschaft war also noch nicht unbedingt gefestigt.
Zwei Tage vor dieser bis zur Befreiung letzten Wahl, in der oppositionelle Parteien noch auf dem Stimmzettel standen, wollten die Nazis ein Exempel statuieren und zeigen, dass sie die Macht auch auf den Straßen ausübten. Am Abend des 3. März 1933 versuchten sie, durch die Elsassstraße zu ziehen. Sir wurden von den Bewohner(inne)n mit einem Hagel von Wurfgeschossen empfangen, die aus den Fenstern und von den Dächern flogen und dafür sorgten, dass aus dem triumphalen Durchmarsch durch die rote Straße vorerst nichts wurde. SA und die SS mussten sich vorerst zurückziehen – aber sie kamen wieder.
Die Polizei, unter Führung ihres persönlich anwesenden Präsidenten Lingens, setzten nicht nur mehrere Überfallkommandos unterstützt von SA und SS als Hilfspolizei ein, die von ihren Schusswaffen Gebrauch machten ein, sie wurden sogar von einem gepanzerten Wagen begleitet. Unter diesen Umständen war weiterer Widerstand natürlich sinnlos. Nachdem das gesamte Viertel abgesperrt worden war, begannen Hausdurchsuchungen – am Ende des Abends waren mehr als 70 Menschen verhaftet worden – nicht alle überlebten die KZ-Haft. Die Schlacht in der Elsassstraße war der letzte spontane Versuch, den Nazis offenen militanten Widerstand entgegenzusetzen.
Um an diesen letzten Versuch, den braunen Kolonnen die Straßen der Arbeiterwohngebiete streitig zu machen, zu erinnern, brachte der bekannte Wandmaler Klaus Payer nach langen Querelen mit dem Bundesvermögensamt als Eigentümer und dem Bundesfinanzministerium an der Fassade des Hochbunkers in der Elsassstraße 42 ohne Genehmigung durch die staatlichen Stellen ein Wandgemälde an. Der Eigentümer, letztlich die Bundesrepublik Deutschland, ließ dieses Kunstwerk zweimal übertünchen. Erst die dritte Fassung Payers war dauerhaft. Am Haus Elsassstraße 45-47 erinnert eine Gedenktafel der Bezirksvertretung Innenstadt an das Ereignis. Auf ihr heißt es: „Wenige Wochen nach Der Machtübernahme marschierten SA-Trupps erstmals durch die Elsaßstraße, die als Hochburg der Kommunisten galt. Die Bewohner bewarfen die Nationalsozialisten aus den Fenstern mit Blumentöpfen, Flaschen, Mülltonnen und anderen Gegenständen. Die Polizei eröffnete daraufhin das Feuer und nahm 70 Personen fest“.
Ein Beleg dafür, dass das mutige Handeln der Menschen vor 86 Jahren von Antifaschist(inn)en als Vorbild für ihre eigenen politischen Aktivitäten angesehen wurde, ist die Tatsache, dass sich antifaschistische Bündnisse in ihren Logos immer wieder auf den Kampf in der Elsassstraße bezogen. Nachdem es 2013 auf Anregung der VVN-BdA eine Demonstration zur Erinnerung gab, hat es sich die Kölner DKP zur Aufgabe gemacht, die Gedenktradition aufrecht zu erhalten und alljährlich eine kleine Kundgebung zu veranstalten.