Gedenktag 27. Januar- Kultur in Trümmern
9. Februar 2015
Gedenktag 27. Januar- Kultur in Trümmern
Am diesjährigen Gedenktag für die Opfer des Naziregimes stand das Schicksal Kölner Kulturschaffender im Mittelpunkt der Veranstaltung in der Antoniterkirche, an der sich an diesem 70. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz sehr viele Menschen beteiligten.
Die Texte behandelten das Schicksal von Mitgliedern der Agitpropgruppe „Die blauen Blusen“, des Malers Peter Josef Paffenholz, der Schriftstellerin Irmgard Keun und der Sinti-Musiker Familie Reinhardt. Dazu spielte das Markus Reinhardt Ensemble Stücke, die die ganze Vielfalt ihrer Musik zum Ausdruck brachte.
Der anschließende Mahngang führte zum früheren Wallraf-Richartz-Museum, dessen großer Bestand an expressionistischer Kunst als „entartet“ galt. Viele Kunstwerke wurden aber auch in Sicherheit gebracht, bevor die Nazis sie beschlagnahmen konnten.
Zum Abschluss sprach der Kölner Schriftsteller Dogan Akhanli, zum Schicksal verfolgter Schriftsteller, zu Flucht und Exil heute.
Wir dokumentieren Auszüge aus seiner Rede:
„Wir haben gerade vom Schicksal der verfolgten Schriftstellerin Irmgard Keun erfahren, von Büchern, die verbrannt wurden. Mir ist eines dieser verbotenen Bücher in der Zelle eines Hochsicherheitsgefängnisses begegnet, als ich 2010 im türkischen Knast war. Ich durfte deutschsprachige Bücher lesen, weil mich die damalige deutsche Konsulin im Gefängnis besuchte. Das erste Buch, das ich gelesen habe, war „Der Großtyrann und das Gericht“ von Werner Bergengruen. Er war ein deutsch-baltischer Schriftsteller. „Der Großtyrann und das Gericht“ wurde 1935 veröffentlicht, später verfilmt und in 14 Sprachen übersetzt. 1937 wurde Bergengruen (u. a. mit Hinweis auf den Roman „Der Großtyrann“) aus der Reichsschrifttumskammer mit folgender Begründung ausgeschlossen: „Da Sie nicht geeignet sind, durch schriftstellerische Veröffentlichungen am Aufbau der deutschen Kultur mitzuarbeiten.“
Seinem Buch in einer schäbigen Gefängniszelle zu begegnen, hatte symbolischen Charakter. (…)
Wie damals in Deutschland sind Schriftsteller und Künstler für Machthaber in vielen Ländern immer noch unbequem. Zum Beispiel Aung Myint in Birma muss noch 18 Jahre hinter Gittern bleiben. Nach Informationen von amnesty ist er einer von über 1.100 Autorinnen und Autoren, für die sich der PEN-Club zurzeit einsetzt. Rund 700 von ihnen sind im Gefängnis, andere wurden bedroht, entführt, ermordet, sind nach einer Festnahme “verschwunden”, mussten sich verstecken oder wurden zwangsweise ins Exil geschickt. Die vom PEN dokumentierten Opfer der staatlichen Repression stammen aus allen Teilen der Welt. Besonders viele kommen aus China, Iran, Weißrussland, Vietnam oder aus Ägypten.
Die deutsche Gesellschaft ist durch Ihre Aufarbeitung sensibler geworden, wenn es um die Vergangenheit geht. Aber wenn es um die Aufnahme von Roma und Sinti oder etwa Einwanderer und Flüchtlinge aus muslimischen Ländern oder aus dem Kontinent Afrika geht, ist die Gesellschaft nicht genug sensibel.
Ich war auch ein Flüchtling vor 22 Jahre, aber ich habe nicht die Saharawüste durchquert. Ich musste nicht mit einem schäbigen Boot über das Mittelmeer nach Europa fahren. Ich musste keine Angst vor Hunger, Durst und vor dem Ertrinken auf dem offenen Meer haben. In Istanbul stieg ich mit meinem Sohn mit gefälschten Pässen in ein Flugzeug. Als wir landeten, wartete mein vor einem Jahr verstorbener Freund Adnan Keskin mit seiner Frau am Kölner Flughafen auf uns. Sie holten uns mit dem Auto ab und brachten uns zu sich nach Hause. Kurze Zeit später flohen meine damalige Frau und meine Tochter auf demselben Weg nach Deutschland.
Das war Ende 1991. Ich lebte mit meiner Frau, meinem damals achtjährigen Sohn und meiner zweieinhalb Jahre jungen Tochter vorläufig in einem Asylbewerberheim, in einem Gebäude der heutigen Volkshochschule in Bergisch Gladbach, im dritten Stock. Zusammen mit einer kurdischen Familie, im selben Klassenraum. Als die Pogrome und Brandanschläge in Hoyerswerda, in Rostock-Lichtenhagen und in Mölln passierten, haben wir nachts ständig Wache gehalten. Obwohl unser Asylantrag noch nicht anerkannt war, durften wir in eine Wohngemeinschaft ziehen, weil unsere zukünftigen Mitbewohner sich entschlossen hatten, eine Asylbewerberfamilie bei sich aufzunehmen und mit ihr zusammen wohnen wollten. Kurze Zeit nach unserem Einzug starben fünf Menschen bei einem Brandanschlag in Solingen. Es war fürchterlich für uns, nach so langer Verfolgung in der Türkei weiter in einer lebensbedrohlichen Situation leben zu müssen. Aber auf der anderen Seite war mir bewusst, dass wir in dieser WG einen Schutzraum erhalten hatten, der es uns ermöglichte, unser Leben noch einmal aufzubauen. Wenig später wurden unsere Asylanträge anerkannt. Die Kinder durften in die Schule bzw. in den Kindergarten gehen. Wir durften Deutschkurse besuchen, Ausbildungsmöglichkeiten wurden uns angeboten und eine Arbeitserlaubnis erteilt. Kurz gesagt, ohne gesichertes Bleiberecht, ohne politische und persönliche wie auch kollegiale Unterstützung wäre es mir kaum möglich gewesen, ein unabhängiges Leben aufzubauen, meine Projekte durchzuführen und meine schriftstellerische Tätigkeit aufzunehmen.
Im August 2010, nach 20 Jahren in Köln, flog ich zum ersten Mal wieder in die Türkei. Gleich bei meiner Ankunft in Istanbul wurde ich festgenommen und fand mich in einem kafkaesken Prozess wieder, der immer noch nicht zu Ende gehen will. Ich konnte trotzdem als „Geretteter“ nach Deutschland zurückkehren, weil meine Freundinnen und Freunde in Köln, in Hamburg, in Berlin, in Frankfurt, in Darmstadt, in Istanbul, meine Nachbarn in Ehrenfeld und meine Dorfbewohner an der georgischen Grenze gegen die türkische Willkür protestiert haben. Ohne diese Solidarität, ohne Einmischung von Prominenten und von anerkannten Institutionen und ohne die diplomatische Intervention des Auswärtigen Amtes wäre ich bestimmt immer noch in einem Hochsicherheitsgefängnis in der Türkei.
Nun habe ich zwar keinen Zutritt mehr zur Türkei, aber ein Heim in Deutschland.
Wenn ich an die Fluchtgeschichten der jungen Menschen heute denke – an die so langen Wege durch Wüsten, Meere und Berge, nach Mord, Hunger, Durst, Angst und Krieg, die sie hinter sich gelassen haben. Wer gibt uns das Recht, uns abzuwenden? Uns wegzudrehen, wenn sie im Meer ertrinken und so zu tun, als wären sie nicht bei uns, wenn sie ihre Flucht doch überlebt haben?
Ich denke, sie brauchen unser Mitgefühl, unsere Unterstützung und unseren Respekt.