SPD-Ehrenfeld: Stromlinienförmiger Zeitgeist oder Geschichtsvergessenheit?

9. Mai 2024

In Neuehrenfeld gibt es ein „Chinesenviertel“, in dem sich auch unser VVN-Büro befindet. „Viertel“ ist dabei gewaltig übertrieben – in Wirklichkeit handelt es sich um 5 Straßen, deren Namen auf die deutsche Kolonialpolitik gegen China Anfang des 20. Jahrhunderts zurückgehen.

Europäische Kolonialmächte (darunter das kaiserliche Deutschland), die USA und Japan engagierten sich politisch, wirtschaftlich und militärisch in China, ein Aufstand gegen die koloniale Unterdrückung („Betreten für Hunde und Chinesen verboten!“) wurde gemeinsam überaus blutig niedergeschlagen. Einen Eindruck vom Menschenbild der Kolonialisten vermittelt die Rede, die Kaiser Wilhelm II. bei der Verabschiedung deutscher Truppen nach China am 27.7.1900 in Bremerhaven hielt: „Pardon wird nicht gegeben! Gefangene werden nicht gemacht! Wer Euch in die Hände falle, sei Euch verfallen! Wie vor 1.000 Jahren die Hunnen… sich einen Namen gemacht, der sie noch jetzt… gewaltig erscheinen lässt, so möge der Name Deutscher in China auf 1.000 Jahre durch Euch in einer Weise bestätigt werden, dass niemals wieder ein Chines es wagt, einen Deutschen auch nur scheel anzusehen“ (zitiert nach: Wörterbuch Geschichte, Köln, 1984). Die Rede ging als „Hunnenrede in die Geschichte ein.

Über die Straßennamen rund um den Takuplatz wird seit Jahren kontrovers diskutiert. Auf der einen Seite stehen die, die die Kolonialvergangenheit Deutschlands auch auf geschichtspolitischer Ebene endlich beenden möchten, auf der anderen Seite die Anwohner(innen) der Straßen, die ihre Adressen unverändert behalten wollen und ihre Unterstützer(innen) von rechts, die deutschem Großmachtstreben generell positiv gegenüberstehen.

Den Vogel schoss allerdings kürzlich der Ehrenfelder Ortsverein der SPD ab. Anlässlich eines Gutachtens der Kölner Professorin Marianne Bechhaus-Gerst zum Namensproblem greifen die wackeren Sozialdemokraten zum Mittel der zeitgeistkonformen Denunziation. Sie monieren, dass sich das betreffende „Gutachten auf Veröffentlichungen aus dem Umfeld des Konfuzius-Instituts an der FU Berlin“ stütze. Dieses Institut stehe ,wegen seiner finanziellen Nähe zur Kommunistischen Partei Chinas in der Kritik‘, eine andere zitierte Autorin, Professorin Mechthild Leutner, ,wegen Verharmlosung der chinesischen Internierungslager in Xinjiang‘“ (Kölnische Rundschau, 9.4.24, S. 26).

Abgesehen davon, dass beide Vorwürfe absolut nichts mit dem Inhalt des Gutachtens zu tun haben, der auch gar nicht in Frage gestellt wird, ist zu fragen, wie geschichtsvergessen die Ehrenfelder Genoss(inn)en eigentlich sind? Die Vergangenheit ihrer Partei scheint sie nicht die Bohne zu interessieren (falls sie sie überhaupt kennen). Auf dem SPD-Parteitag in Mainz (17. – 21.09.1900) wurde zum Thema deutsche Kolonialpolitik folgendes einstimmig beschlossen:

„Der Parteitag erklärt im besonderen:

Die deutsch-chinesische Kriegspolitik … beruht, außer auf der allgemeinen Profitwut der Bourgeoisie, auf mililtärischer Ruhmsucht und der chauvinistischen und ehrgeizigen Leidenschaft, ein ,größeres Deutschland‘ zu schaffen.

Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands hält diese Politik für verwerflich und erhebt den entschiedensten Widerspruch gegen die abenteuerliche, gewaltsame Chinapolitik der Regierung, welche für das Volk schwere Gefahren herbeiführt und ungeheure Opfer an Gut und Blut erfordert….

Der Parteitag fordert schließlich alle Organe der Partei auf, durch energische Ausbreitung der Protestbewegung die volksschädliche Chinapolitik zu bekämpfen.“ (zitiert nach: Dokumente und Materialien zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Bd. 4, Berlin, 1967).

Hätte es nicht ausgereicht, den Unwillen der Anwohner(innen), ihre Adressen zu ändern, zu artikulieren? Oder einfach den Mund zu halten? Oder am besten: Kolonialismus als das zu bezeichnen, was er ist – ein Verbrechen? Aber jede(r) blamiert sich, so gut er/sie kann. Vielleicht ist das ja auch der Grund dafür, dass die peinliche Stellungnahme auf der Homepage der Ehrenfelder SPD nicht (mehr) zu finden ist.