28. Januar: Geschichte des Erinnerns an Täter und Opfer

geschrieben von Peter Trinogga

19. März 2018

   Gedenkveranstaltungen, egal, welches Ereignisses gedacht wird, laufen Gefahr, zum Ritual zu erstarren. Die Gefahr wächst, je länger der Anlass des Gedenkens zurück liegt und die Zahl derjenigen, die aus eigener Anschauung berichten können, abnimmt. Sie wird sehr groß, wenn es keine oder nur noch sehr wenige Zeitzeug(inn)en gibt.

Das gilt natürlich auch für die jährlich stattfindende „Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus“ in Köln, die von einem breiten Bündnis von Organisationen veranstaltet aber von einer nur kleinen Gruppe von Aktiven in mühevoller Kleinarbeit inhaltlich vorbereitet wird. Genau diese akribische Vorbereitung eines jährlich wechselnden Schwerpunktthemas ist der Grund dafür, dass die Kölner Veranstaltung der Gefahr, in Routine zu erstarren, entgangen ist. Im Gegenteil, die Auswahl des jeweiligen Themas, seine inhaltliche Erarbeitung und Umsetzung sorgen dafür, dass die Gedenkstunde, die seit vielen Jahren in der Antoniterkirche stattfindet, lebendig bleibt, aufrüttelt und selbst für Menschen, die sich mit dem Faschismus in Köln intensiv beschäftigt haben, in hohem Maß informativ ist. Dafür sei allen Mitwirkenden von Herzen gedankt.

Die Geschichte des Gedenkens von der Befreiung vom Faschismus bis heute: das Thema, das die Veranstalter(innen) in diesem Jahr gewählt hatten, und das auf den ersten Blick sperrig zu sein schien, erwies sich dann als spannender Streifzug durch einen Teil der Geschichte der Bundesrepublik und der in ihr lebenden Antifaschist(inn)en, der von der offiziösen Geschichtsschreibung häufig verdrängt und in den Schulen kaum vermittelt wird,.beschädigt er doch den Mythos des völligen Neuanfangs nach der Befreiung vom Faschismus. Die Geschichte des Gedenkens an die Opfer ist gleichzeitig eine Geschichte der (Re-)Integration der Täter in die bundesdeutsche Gesellschaft und häufig auch in den Staatsapparat.

Genannt wurden Hubert Schrübbers, als Staatsanwalt, bzw. Oberstaatsanwalt auch Ankläger von politisch und rassistisch Verfolgten, der 17 Jahre lang als Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz Chef des bundesdeutschen Inlandsgeheimdienstes war. Seinen „Gegenpart“ stellte der frühere Vorsitzende der Kölner VVN-BdA Walter Kuchta dar: Als kommunistischer Widerstandskämpfer während des Faschismus verfolgt und jahrelang inhaftiert, war er nach der Befreiung einer der Mitbegründer der VVN und baute in mühevoller Kleinarbeit ein Archiv mit Zeugenaussagen, Prozessdokumenten und Interviews mit und von Naziopfern auf. Ohne seine Arbeit wäre es sehr viel schwerer gewesen, die Teile der Geschichte des Widerstands in Köln und Umgebung, die bisher erarbeitet wurden, eine detaillierte Gesamtdarstellung steht bisher noch aus, zu schreiben. Er machte frühzeitig und unter hohem persönlichen Einsatz auf den Nazijuristen Schrübbers aufmerksam. Integration der Täter einerseits und Bemühungen, sie und ihre Opfer dem Vergessen zu entreißen:

Das gilt auch für den Juristen und Naziverbrecher Kurt Lischka sowie Beate Klarsfeld, die auf den Fall Lischka aufmerksam machte Wobei „aufmerksam machen“ den Sachverhalt nur unzureichend widergibt: Beate und Serge Klarsfeld versuchten den ehemaligen SS-Obersturmbannfüherer und Gestapomann, der in Frankreich in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilt worden war, von der Bundesrepublik aber nicht ausgeliefert wurde und als angesehener Bürger in Köln lebte, zu entführen. Dadurch wurde der Skandal erst öffentlich und ein Prozess, der europaweit Beachtung fand, möglich. In diesen und anderen Fällen wurde in der Gedenkveranstaltung die Existenz des anderen, antifaschistischen Deutschlands belegt und der Menschen gedacht, die die Erinnerung an die Verbrechen der Nazis und den Widerstand gegen die braunen Machthaber lebendig erhielten und erhalten.

Zu ihnen gehört auch Tamar Dreifuss: Als jüdisches Kind Der Ermordung nur um Haaresbreite durch den Mut ihrer Mutter entronnen, schrieb sie Jahrzehnte später ihre Geschichte in kindgerechter Form auf und informiert bei Schulbesuchen Kinder und Jugendliche. Sie leistet damit einen riesigen Beitrag, die Erinnerung wachzuhalten, um eine Wiederholung der Geschichte zu verhindern. Passend zu Tamar Dreifus´ Worten, die sie nach dem Mahngang zum versteckt liegenden Mahnmal am Hauptbahnhof an die Teilnehmer(innen) richtete und ähnlich berührend waren die von Katharina Müther eindrucksvoll interpretierten jiddischen Lieder.

Bei allem berechtigten Lob bleibt ein bitterer Beigeschmack: Die Beiträge der Vorbereitungsgruppen, die mit großem Zeitaufwand und viel Mühe und Leidenschaft erarbeitet wurden, werden nicht öffentlich dokumentiert und sind damit verloren, obwohl es mit Sicherheit ein großes Interesse an ihnen gäbe. Es wäre deshalb dringend erforderlich, dass sie durch eine Publikation im Internet bewahrt blieben.