Mahnwache zur Erinnerung an die Reichspogromnacht am 9. November 1938 und die aus Bergisch-Gladbach in die Vernichtungslager verschleppten jüdischen Menschen

25. November 2017

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Trotz Sessionseröffnung und katastrophalem Wetter fand am Samstag, dem 11.11. in Bergisch-Gladbach wie schon seit vielen Jahren eine Mahnwache zur Erinnerung an die Reichspogromnacht am 9. November 1938 und die aus Bergisch-Gladbach in die Vernichtungslager verschleppten jüdischen Menschen statt. Wir dokumentieren die Reden von Walborg Schröder, der Initiatorin der Aktion, und von Jochen Vogler, stellvertretender Vorsitzender der VVN-BdA Nordrhein-Westfalen:


Foto:Klaus Müller

Eröffnung und Begrüßung: Walborg Schröder, VVN-BdA

„Liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
sehr geehrter stellv. Bürgermeister Josef Willnecker,
liebe Rednerin und liebe Redner,

wir haben uns anlässlich der Reichspogromnacht vom 9. November 1938 in der Nähe der geschichtsträchtigen Gedenktafel zu einer Mahnwache mitbedrückendem Gegenwartsbezug zusammengefunden. Sie wird organisiert von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) und dem DGB-Netzwerk Rhein-Berg. Wir gedenken hier der Opfer des Holocaust und aller Opfer des NS-Regimes und werden sie niemals vergessen. Der Kirchengemeinde St. Josef danken wir, dass wir hier auf ihrem Gelände unsere Gedenkstunde durchführen können.

Wir begrüßen herzlich Herrn Josef Willnecker, unseren stellvertretenden Bürgmeister, der ein Grußwort der Stadt überbringen wird, sowie Herrn Saim Basyigit vom Integrationsrat Die weieren Redner und eine Rednerin heißen wir herzlich willkommen. Es sind Jochen Vogler, der NRW-Landessprecher der VVN-BdA, Patrick Graf von „Bergisch Gladbach gegen Hass“. Wir grüßen von deser Stelle Reimund Smollen, der im Krankenhaus liegt. Gute Besserung, Reimund! Seine Rede hatte er schon fertig. Sie wird verlesen von Jörg Mährle, Sekretär des DGB-Bezirks Köln-Bonn. Und last not least spricht die Studentin Janina Hollmann, ehemals SV der IGP.

Mit Empörung und Entsetzen erinnern wir uns an die Gräueltaten im nahegelegenen ehemaligen Stella-Werk, einem „wilden KZ der Nazis, in dem Gladbacher Bürger – Juden, Kommunisten, Sozialdemokraten und Christen – geschlagen, gefoltert, gequält und danach in Konzentrationslager gebracht wurden. Zahlreiche regionale Publikationen und acht Stolpersteine erinnern an sie und ihren mutigen Kampf gegen die Nazis. Unser Motto der Mahnwache „Gegen Ausländerfeindlichkeit und Rassismus, für Toleranz und soziale Gerechtigkeit“ ist heute aktueller denn je und hat einen bedrückenden Gegenwartsbezug. Wir müssen erinnern, aber auch mahnen, dass sich Geschichte nicht wiederholt. Denken. Handeln. Neonazis und Rassisten wirksam entgegentreten. Dazu ist jede, jeder aufgefordert. Auf dem Weg in den verheerenden Zweiten Weltkrieg und den Holocaust ist der 9. November 1938 ein besonders grauenvolles Ereignis und muss in unserer Erinnerung wach gehalten werden.


Foto: Klaus Müller

Krieg, Hunger, Bombennächte und Judenverfolgung hat meine Generation die Kriegskinder – am eigenen Leib erlebt. Viele Fragen stellte ich der Mutter, wenn plötzlich Nachbarn verschwunden waren. Viele waren im Krieg gefallen, andere im KZ ermordet. Fragen tauchten auf, wenn ich als11-jährige Oberschülerin in der Kreisstadt auf Menschen mit einem gelben Abzeichen traf. Sie mussten vom Bürgersteig auf die Straße ausweichen, wenn ihnen Leute entgegen kamen. Meine Mutter erzählte mir dann: Das waren Juden, sie mussten einen gelben Stern, den Judenstern, tragen und vor den sogenannten Ariern vom Bürgersteig auf die Straße ausweichen. Menschenverachtung pur. Mein Vater war als Lehrer und SPD-Mitglied unter das Berufsverbot der Nazis gefallen. Er kam in Schutzhaft und wurde gleich zu Kriegsbeginn in die Wehrmacht eingezogen. Das alles hat mich geprägt. Die schrecklichen Kriegserlebnisse verfolgen mich bis heute. Deshalb schreibe und spreche ich darüber, z.B. viele Jahre lang mit Schülern der IGP anlässlich des Auschwitzgedenktages am 23. Januar.

Es ist wichtig, sich zu erinnern, aber auch zu mahnen, damit sich Geschichte nicht wiederholt, sich für Frieden und Verständigung mit anderen Völkern, besonders auch mit Russland, zu engagieren. Bald ist unsere Generation, die den Krieg aus eigenem Erleben kennt, nicht mehr da. Und das Wissen darüber gibt es nur aus Büchern und Filmen. Besonders heute gilt es, wieder wachsam zu sein. Ich mache mir als Zeitzeugin der Nazidiktatur ernsthafte Sorgen über die aktuelle politische Entwicklung, wenn ich die Hasspropaganda der AfD, der Neonazis und der Rechtsradikalen höre. Es darf nie wieder Krieg und Faschismus geben!

Erlauben Sie mir bitte noch eine kurze persönliche Erklärung. Ich bin jetzt seit 26 Jahren aktiv an der Gestaltung der Mahnwache beteiligt. Heute, wie bereits viele Jahre vorher, nehmen Vertreter der jungen Generation teil und Dario Schramm hat für die SV der IGP fürs nächste Jahr schon ihre Mitwirkung an der Mahnwache bekundet. Die Jugend ist unsere Hoffnung. Sie wird die Erinnerung an die Vergangenheit wach halten und eine friedliche Zukunft gestalten. Das gibt mir und der älteren Generation die Zuversicht auf eine Welt in Frieden.“

 

Rede Jochen Vogler

„Sehr geehrte Damen und Herren,

vielen Dank für die Einladung zu dieser Gedenkveranstaltung.
Es bleibt wichtig und notwendig, von den sehr unterschiedlichen Ereignissen und Wendepunkten, die in der Geschichte des 20. Jahrhunderts mit dem Datum 9. November in Deutschland verbunden sind, den 9. November 1938 niemals zu vergessen.
Der 9. November 1938 ist Ausdruck eines furchtbaren Zivilisationsbruchs, dessen schreckliche Fortsetzung als Programm „Endlösung der Judenfrage“ uns allen bekannt ist.
Es ist geschehen und folglich kann es wieder geschehen. Dieses Zitat von Primo Levi bleibt gültig – – das beweist uns auch ein Blick in unsere Gegenwart.
Ich bin dankbar für einen Text, den ich zur Vorbereitung für diesen Beitrag erhielt.
Es ist ein zeitgenössischer Text von 1938.

Getreu den stolzen Traditionen der deutschen Arbeiterbewegung
erheben wir unsere Stimme gegen die Judenpogrome Hitlers, die
vor der gesamten Menschheit die Ehre Deutschlands mit tiefster
Schmach bedeckt haben.
Es ist eine elende Lüge, dass die Pogrome ein Ausbruch des
Volkszornes gewesen seien. Sie wurden von langer Hand
vorbereitet und organisiert von den nationalsozialistischen Führern.
Sie sollten in Wirklichkeit dazu dienen, den wachsenden Volkszorn
gegen die nationalsozialistische Diktatur, gegen die wahnwitzige
Ausplünderung des Volkes zugunsten der Rüstungsmillionäre und
der korrupten Nazibonzen abzulenken auf Unschuldige, mit dem
Ruf „Der Jude ist schuld!“
Immer in der Vergangenheit hat die Reaktion sich der schmutzigen
Mittel der Judenhetze und der Pogrome bedient zum Zwecke der
Ablenkung von den wahren Schuldigen am Elend
Wir wenden uns an alle Kommunisten,
Sozialisten, Demokraten, Katholiken und Protestanten, an alle
anständigen und ehrbewussten Deutschen mit dem Appell: Helft
unseren gequälten jüdischen Mitbürgern mit allen Mitteln! Isoliert
mit einem Wall der eisigen Verachtung das Pogromistengesindel!
Klärt die Rückständigen und Irregeführten, besonders die
missbrauchten Jugendlichen, die zur Bestialität erzogen werden
sollen, über den wahren Sinn der Judenhetze auf!
Die deutsche Arbeiterklasse steht an erster Stelle im Kampf gegen
die Judenverfolgungen. Gegen die mittelalterliche barbarische
Rasssenhetze bekennt sie sich mit allen aufrechten Deutschen zum
Worte Johann Gottlieb Fichtes von der „Gleichheit alles dessen,
was Menschenantlitz trägt“.
Die Befreiung Deutschlands von der Schande der Judenpogrome
wird zusammenfallen mit der Stunde der Befreiung von der braunen
Tyrannei. Deshalb müssen alle, die das Regiment der
Unterdrückung ablehnen und es beseitigen wollen, ihren festen
Zusammenhalt schaffen. Solidarität im Mitgefühl und in der Hilfe für
die jüdischen Volksgenossen, Solidarität mit den gehetzten
Kommunisten und Sozialisten, Solidarität mit den bedrohten
Katholiken, Solidarität aller untereinander im täglichen Kampf zur
Unterhöhlung und zum Sturz des Naziregimes – das ist es, was die
Stunde von allen freiheitsliebenden Deutschen verlangt!

Dieser Appell der KPD erschien in der Sonderausgabe Nr. 7 von 1938 der Roten Fahne .

Dieser Text beweist, daß die brutale menschenverachtende Nazipropaganda nicht jeden in ihrem Sinne zu erfassen vermochte.
Er beweist leider aber auch, daß es fast unmöglich war, mit diesem Appell zum Alltagsbewußtsein der Bevölkerung durchdringen zu können.
In dieser Zeit müssen wir erleben: Die Auflösung der Tabugrenzen des Sagbaren passiert schleichend und wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß mit medialer Unterstützung diese Methode schon erfolgreich im Alltagsbewußtsein in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist.
Mediale Aufmerksamkeit bleibt dagegen dezent, wenn das antifaschistische Selbstverständnis angegriffen wird.
Durch die Klage unserer Kameradin Silvia Gingold gegen den Landesverfassungsschutz Hessen auf Löschung ihrer Daten und Einstellung ihrer Beobachtung durch dieses Amt wurde bekannt, daß der Schwur von Buchenwald für den Verfassungsschutz ein Beleg ist, der gegen die freiheitliche dempokratgische Grundordnung gerichtet sei. Das Gericht erkannte die Rechtmäßigkeit der weiteren Beobachtung von Silvia an u. a. Mit der Begründung, daß sie bei Veranstaltungen der VVN/BdA mitwirke, die auch wegen ihrer Berufung auf den Schwur von Buchenwald weiterhin als linksextremistische Organisation berechtigterweise vom Verfassungsschutz zu beobachten sei.
Dies ist in mehrfacher Hinsicht ein Skandal.
Die Behörde, deren Verstrickung mit den Morden des sogenannten NSU notorisch ist, hat das Recht zu bestimmen, was verfassungskonform ist und was als linksextremistisch kriminalisiert werden darf.

Fast schon vergessen ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Beginn dieses Jahres. Wegen ihrer politischen „Bedeutungslosigkeit“ kann die NPD weiterhin legal wirken.
Auch wenn bei der NPD programmatisch eine deutliche Nähe zur NSDAP nachweisbar sei, gebe es derzeit wegen ihrer politischen Bedeutungslosigkeit keine Verbotsgrund.
Die Richter kennen den Artikel 139 des Grundgesetzes…
Auch dieses Urteil ist ein Beitrag zur Auflösung der Tabugrenzen des Sagbaren. – Wir kennen die Wahlergebnisse der AfD.

Hieß es lange Zeit: Wehret den Anfängen –
heute muß es schon heißen: wehret den Zuständen!

Noch können wir es.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit“

Foto: Klaus Müller

Weitere Fotos der Veranstaltung von Klaus Müller sind hier zu finden.